Titan 20
auf der Annahme, daß eine Regierung irgendwie die Gedanken eines Menschen kontrollieren kann. Wir wissen jetzt, daß das Bewußtsein des Beobachters das einzig wahrhaft Freie im Universum ist. Würden wir nicht sehr dumm dreinschauen, wenn wir versuchten, das zu kontrollieren, wo doch unsere ganze Physik zeigt, daß das unmöglich ist? Deshalb ist der Dienst in keinem Sinn eine Gedankenpolizei. Wir interessieren uns nur für das, was geschieht. Wir sind eine Ereignispolizei.«
»Aber«, sagte Jo, »wenn die ganze Geschichte festgelegt ist, warum geben wir uns denn dann beispielsweise mit diesen Jungetrifft-Mädchen-Einsätzen ab? Das Zusammentreffen wird doch in jedem Fall stattfinden.«
»Natürlich wird es das«, gab Krasna ihm sofort recht. »Aber schauen Sie doch, Jo. Unsere Interessen als Regierung hängen von der Zukunft ab. Wir operieren, als ob die Zukunft so real wie die Vergangenheit wäre, und bis zur Stunde sind wir auch noch nicht enttäuscht worden: der Dienst ist zu 100 Prozent erfolgreich. Aber genau dieser Erfolg ist nicht ohne Warnung. Was würde passieren, wenn wir aufhörten , die Ereignisse zu überwachen? Das wissen wir nicht, und wir wagen es nicht, das Risiko einzugehen. Trotz der Beweise, daß die Zukunft festgelegt ist, müssen wir die Rolle des Behüters der Unausweichlichkeit übernehmen. Wir glauben, daß nichts falsch laufen kann – aber unser Handeln muß auf der Philosophie basieren, daß die Geschichte nur denen hilft, die sich selbst helfen.
Deshalb sichern wir riesige Zahlen von Verbindungen bis zum Ehevertrag und darüber hinaus. Wir müssen dafür sorgen, daß jede einzelne Person, die in irgendeiner Dirac-Sendung erwähnt wird, geboren wird. Unsere Verpflichtung als Ereignispolizei besteht darin, die Ereignisse der Zukunft möglich zu machen, weil jene Ereignisse für unsere Gesellschaft lebenswichtig sind – selbst die kleinsten davon. Es ist eine ungeheure Aufgabe, glauben Sie mir, und sie wird jeden Tag größer. Anscheinend wird das immer so sein.«
»Immer?« sagte Jo. »Und was ist mit der Öffentlichkeit? Wird sie nicht über kurz oder lang dahinterkommen? Die Beweise nehmen doch immer schneller zu.«
»Ja und nein«, sagte Krasna. »Eine ganze Menge Leute riechen es, so wie Sie es gerochen haben. Aber die Zahl der neuen Leute, die wir im Dienst brauchen, wächst schneller – sie ist immer größer als die Zahl der Laien, die den Hinweisen bis zur Wahrheit folgen.«
Jo atmete tief. »Sie nehmen das alles so hin, als wäre es ebenso selbstverständlich wie wenn man ein Ei kocht«, sagte er. »Denken Sie nie über einige der Dinge nach, die man aus dem Piepser heraushören kann? Diese Sendung beispielsweise, die Dana Lje von Canes venatici, den Jagdhunden, aufnahm, die von dem Schiff, das rückwärts durch die Zeit fuhr? Wie ist das möglich? Was könnte der Zweck sein? Ist es ...?«
»Geduld, Geduld« , sagte Krasna. »Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Und Sie sollte es auch nicht interessieren. Jenes Ereignis liegt zu weit in der Zukunft, als daß wir uns darum sorgen sollten. Wir können den Zusammenhang noch nicht kennen, also hat es keinen Sinn, es zu versuchen. Wenn ein Engländer aus der Zeit um 1600 etwas über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erfahren hätte, würde er ihn für eine Tragödie gehalten haben; ein Engländer des Jahres 1950 wurde das ganz anders sehen. Und am gleichen Punkt befinden wir uns. Die Botschaften, die wir aus der wirklich fernen Zukunft erhalten, haben noch keinen Kontext, in dem sie verständlich würden.«
»Ich glaube, das verstehe ich«, sagte Jo. »Mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen, denke ich, nachdem ich eine Weile den Dirac benutzt habe. Sofern mein neuer Rang das mit sich bringt?«
»Ja, das tut er. Aber zuerst, Jo, möchte ich eine Regel aus der Etikette des Dienstes an Sie weitergeben, die nie gebrochen werden darf. Man wird Sie nie in die Nähe eines Dirac-Mikrofons lassen, so lange Sie sich diese Regel nicht eingeprägt haben, sie sich förmlich ins Gedächtnis eingebrannt haben und sie nie vergessen.«
»Ich höre, Kras, glauben Sie mir!«
»Gut. Dies ist die Regel: Das Todesdatum eines Angehörigen des Dienstes darf nie in einer Dirac-Sendung erwähnt werden. Niemals! «
Jo blinzelte. Plötzlich war ihm etwas kalt geworden. Der Grund, der hinter der Regel stand, war in seiner ganzen Härte klar, dafür stand andererseits auch fest, wieviel Freundlichkeit am Ende darin
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