Titanen-Trilogie 02 - Die Kinder der Titanen
Dusche und dann ein strapaziös sorgfältiges Ankleiden, Schicht um Schicht. Dann kam das Kämmen, damit das Haar Glanz bekam. Nagelfeilen, Schminken, ein vollkommener Verwandlungsprozeß, um ein Mädchen in eine Dame zu verwandeln. Sorgfältig begutachtete sie sich im Spiegel.
Sie sah ein farbenprächtiges Wesen aus Röcken, Rüschen und Perlen und Gefunkel. Ihre Füße wirkten winzig in den kunstvollen Pantoffeln, das Gesicht elfenhaft unter dem ausladenden Hut. Keine Frau in Amerika trug solche Gewänder, doch fand sie ihr Aussehen nicht unattraktiv.
Die Examensfeier lief genau nach Plan ab. Fünfunddreißig Mädchen bekamen ihre Diplome ausgehändigt und marschierten sodann einzeln hinaus in den Hof, wo sie von den stolzen Eltern erwartet wurden. Soli war die letzte, ehrenhalber sozusagen, denn es war klar, das einem Mädchen, das auf sie gefolgt wäre, nur geringe Aufmerksamkeit zuteil würde. Zum Teil lag dies darin begründet, weil sie die einzige Vertreterin ihrer Rasse war. Doch sie wußte auch, daß sie, obwohl jünger als manche andere – nämlich erst dreizehn – eine Schönheit war. Sie wußte es, weil dieses Wissen ein Vorteil war, und sie besaß dazu die Anmut, sich richtig zu präsentieren. Hätte sie diese grundlegenden Techniken nicht erlernt, sie hätte das Examen nicht bestanden.
Ch’in erwartete sie, geschützt von einer Phalanx von Soldaten. Prächtig sah er aus in seiner quasi-militärischen Aufmachung mit Medaillen und Schärpen. Wäre seine Mitte schmaler gewesen, hätte er die vielen Orden gar nicht untergebracht. Aber ihm fehlte natürlich ein goldener Armreif, und darauf kam es an.
Sie lächelte ihm zu und wandte dabei den Kopf so, daß die Sonne ihre Augen und Zähne aufblitzen ließ. Dann ging sie auf ihn zu mit einer Haltung, die ihre Brüste und ihre Hüften zur Geltung brachte, und ihre schlanke Taille. Sie nahm seine Hände.
Ja, sie lieferte den Zuschauern den Auftritt, den Ch’in sich erkauft hatte. Sie mußte glänzen, um die eben absolvierte Ausbildung zu rechtfertigen. Äußere Erscheinung war alles.
Der Kaiser wandte sich um, und sie wandte sich mit ihm um, als wäre sie eins mit ihm und begleitete ihn zum kaiserlichen Wagen.
Die Menschen drängten sich hinter der Postenreihe zusammen, begierig, einen Blick auf den Kaiser und seine schöne Braut zu werfen. Die meisten waren Einheimische, die Ch’in im Moment keine Ergebenheit schuldeten, doch sie waren fasziniert, von den Zeichen der Macht – und wußten wohl, daß sie ihm morgen oder im nächsten Jahr – vielleicht sehr wohl Ergebenheit schulden würden. Eine ganze Anzahl Zuschauer kam von weither. Die Grenztruppen des Herrschers dieses Gebietes verhielten sich verdächtig zurückhaltend. Er wollte offenbar jeden Ärger mit Ch’in vermeiden.
In der Nähe des schimmernden Wagens stand ein ernster, mantelumhüllter Mann. Plötzlich wurde ihr Blick gefangen, sie sah genauer hin -»Sol!« flüsterte sie.
Der Anblick ihres Vaters, gänzlich unerwartet, nach fünf Jahren und Tausenden von Meilen, überwältigte sie. Sie hatte ihn zuletzt in Helicon gesehen, doch sein liebes Gesicht war ihr vertraut wie eh und je.
Ch’in hörte ihren leisen Ausruf und folgte ihrem Blick. »Wer ist dieser Mann?«
Die Soldaten reagierten unverzüglich und packten Sol. Da wurden seine Hände sichtbar und sie sah, daß sein linker Daumen fehlte.
Zunächst spürte sie einen Schock, dann aber übermannte sie Wut. Man hatte ihren Vater als Gladiator verkauft! Und völlig unvernünftig gab sie allein Ch’in die Schuld daran.
Sie schlug auf ihn ein und wandte dabei die Technik an, die Sosa sie gelehrt hatte. Ch’in schnappte nach Luft und schwankte. Die Soldaten zogen ihre Pistolen.
Und dann geriet Sol in Bewegung, teilte nach links und rechts Hiebe aus und stieß die Wachen beiseite. Ein Schwert blitzte in seiner Hand auf. Er sprang und kam neben Soli zu stehen, die Klinge an Ch’ins Kehle gelegt. Die festgefügte Kette der Soldaten riß, und die erstaunten Zuschauer drängten näher heran. Soli sah Gewehre im Anschlag und wußte, daß Sol auf der Stelle getötet würde, was immer er tat. Es waren ihrer zu viele, Soldaten und Waffen. Jemand würde sicher einen Schuß abgeben, auch wenn es dem Kaiser das Leben kostete.
Doch dann erhoben sich groteske Gestalten mitten in der Menge und fingen an, die Menschen wegzustoßen. Gladiatoren – die nun außerhalb der Arena wüteten. Hungrige Tiger hätten nicht verheerender wirken können!
Weitere Kostenlose Bücher