Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
zurückgezogen?«
»Sie waren abhängig vom Nachschub aus Helicon, und ihre Laster konnten nicht mehr durch. Da sagte ich, ich wollte mich ein wenig umsehen.«
Dann kam die Beschreibung dessen, was er am Berg entdeckt hatte. Da war es um Varas Teilnahmslosigkeit geschehen. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich wusste, daß alles verloren ist«, rief sie aus. »Meine beiden Väter haben es getan, Var und ich haben mitgeholfen. Aber wir wussten nicht, daß es so schrecklich sein würde.«
Solcherart hatte Tyl Neq als Bewahrer zivilisierter Werte hingestellt, während Sol und der Waffenlose, ja sogar Vara als deren Zerstörer dastanden. Was für eine Schlappe für Varas Anmaßung! Sie marschierten einige Tage weiter. Dann fing Tyl von neuem an. »Bist du allein nach Helicon gegangen?«
Neq wollte darauf keine Antwort geben, denn seine Erinnerung war trotz der langen Zeit noch frisch. Nein, das Thema sollte nicht besprochen werden.
Erstaunlicherweise war es Vara, die nun weiterbohrte. »Du hast mit einer Irren die Ehe geschlossen! Ich kann mich erinnern, daß du es zugegeben hast. Ist die mit dir gegangen?«
Doch Neq blieb stumm. Tyl antwortete für ihn. »Ja.«
»Wer war sie? Warum ist sie mitgegangen?« fragte Vara weiter.
»Sie wurde Miss Smith genannt«, sagte Tyl nun. »Sie war die Sekretärin von Dr. Jones, dem Anführer der Irren. Sie ging mit, weil sie ihm den Weg zeigen wollte und weil sie einen Bericht schreiben wollte. Sie fuhren in einem Irren-Wagen, durch ganz Amerika. Das ist der Name, den die Alten dem Irren-Gebiet gaben - Amerika.«
»Ich weiß«, erklärte sie knapp.
Und an einem anderen Tag ging es weiter. »War sie hübsch?«
»Ja, das war sie«, sagte Tyl. »Hübsch, so wie nur zivilisierte Menschen hübsch sein können.«
»Ich bin hübsch!«
»Na, vielleicht bist du schon zu zivilisiert.«
Sie verzog das Gesicht. »Konnte sie lesen und schreiben?«
»Natürlich.« Nur wenige Nomaden konnten lesen, aber die meisten Irren verfügten über diese Fähigkeit. Vara selbst konnte lesen und schreiben, Tyl und Neq konnten es nicht.
Wieder ein anderer Tag.
»War sie eine - eine richtige Frau?«
»Sie wies den Waffenlosen ab, weil er nicht bei den Irren bleiben wollte.«
Diesmal war es an Neq, das Gesicht zu verziehen. Neqa hatte es ihm anders gesagt.
»Der Waffenlose war mein Vater!« empörte sich Vara. Dann fuhr sie fort: »Mein natürlicher Vater. Nicht mein richtiger Vater.«
»Trotzdem.«
»Und sie liebte Neq?« fragte sie widerwillig.
»Was denkst du denn?« stellte Tyl leicht ungeduldig die Gegenfrage.
Am nächsten Tag ging es weiter.
»Wie konnte eine gebildete, zivilisierte Frau ihn lieben?«
»Sie muss wohl etwas gewusst haben, das wir nicht wissen«, versetzte Tyl mit leiser Ironie.
Und schließlich ihre Frage: »Wie ist sie gestorben?«
Neq ließ die beiden allein. Er hatte mit Schrecken gemerkt, wieviel Tyl wusste. Der Mann war, was Neqs Privatleben betraf, erstaunlich gut bewandert und hatte sich bislang davon nichts anmerken lassen.
Neq lief durch den Wald, bis ihm der Atem ausging. Da warf er sich ins trockene Laub und weinte. Dieses gnadenlose Aufreissen alter, tiefer Wunden, diese unwürdige und indiskrete Analyse!
So blieb er eine ganze Weile liegen. Gut möglich, daß er einschlief. Als es dunkel wurde, da sah er vor sich wieder den blutgetränkten Waldboden und fühlte das Feuer in den abgehackten Händen. Sechs Jahre waren im Schmerz, den er um Neqas Verlust fühlte, zu sechs Stunden geworden.
Welchen Zweck hatte es, Rache zu üben, wenn doch jeder Stamm so wild und grausam war wie der, den er vernichtet hatte. Jeder einzelne dieser Gesetzlosen-Stämme hätte dasselbe
Verbrechen begehen können. Die einzig mögliche Antwort war, das Problem einfach zu ignorieren - oder alle zu vernichten. Oder zumindest ihre Grausamkeit auszurotten. Die Wurzel des Übels zu erfassen. Helicon neu aufzubauen.
Und da war er nun, nachdem er sein Bestes geleistet hatte diesen Wiederaufbau einzuleiten, Opfer der Verbitterung eines Mädchens, das in ihm dieselbe Art eines Wilden sah. Mit gutem Grund. Wie sollte ein Wilder der Wildheit entgegentreten können?
Alles war nutzlos. Nichts konnte ihm die Frau wiederbringen, die er geliebt hatte. Da lag ihr Körper, quälte ihn, spottete seiner Bemühungen einer Erneuerung. Der schwere Duft der Lotuspflanze steigerte das Entsetzliche. Ihm war alles gleichgültig.
Nach einer Weile raffte er sich auf, um die Tote zu begraben. Er
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