Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
Jahrhunderts.
Da England bekanntlich die
Meere beherrschte, waren wichtige Kriterien an den dortigen Richtlinien
orientiert, und diese sahen zum Beispiel die Ausrüstung mit Rettungsbooten, abhängig
vom Fahrtgebiet und von der Schiffslänge, später der Vermessung vor. Das mag
paradox erscheinen, ist aber in gewisser Weise verständlich, wenn man davon
ausgeht, daß auf größeren Schiffen auch mehr Platz vorhanden ist, zumal es
üblich wurde, die Boote an kleinen Kränen – Davits genannt – an den Bordwänden
mitzuführen. Die Vorschriften reichten also allgemein für die sogenannten
»Paket-Boote« (= Linienschiffe für den Postverkehr) aus, die relativ wenig
Passagierplätze in der ersten und zweiten Klasse aufwiesen und begüterten
Reisenden schon einen gewissen Komfort und zumindest die Aussicht auf einen
Bootsplatz boten. Diese Schiffe waren der Maßstab für Regelungen (die
Postgesellschaften gaben erhebliche Subventionen zum Betrieb, den heißbegehrten
»mail-contract«), und ihnen galt die ungeteilte Aufmerksamkeit von Reedereien,
der Presse und dem Publikum. Daneben befuhr eine Vielzahl von Seelenverkäufern
die Meere, die den Massenverkehr bewältigten, westwärts mit Auswanderern
gefüllt, ostgehend mit Ladung für Europa.
Mit dem
Aufkommen von Maschinenantrieben änderte sich vieles an Bord, zum Beispiel auch
die Raumaufteilung. Das klassische Zwischendeck wurde von Kessel- und
Maschinenräumen unterbrochen. Die erste Rückreisewelle von den reich gewordenen
Yankees setzte ein, und neue Maßstäbe wurden an Komfort und Geschwindigkeit
gestellt. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann das Wettrennen um das
»Blaue Band« für die schnellste Atlantiküberquerung, die Maschinen wurden
größer, ihr Platzbedarf wuchs, Deckshäuser wurden zu Aufbauten, diese zu
durchgehenden Decks, die Besegelung wurde reduziert und verschwand um die
Jahrhundertwende vollständig.
An der
Raumaufteilung der Titanic ist diese Entwicklung gut nachzuvollziehen:
Ganz oben, in der Nähe der Brücke und der Boote, lagen die teuersten
Luxus-Suiten der ersten Klasse, die zusammen mit den »normalen«
Erste-Klasse-Kabinen und den Gesellschaftsräumen im übrigen etwa 30 Prozent
(für 905 Passagiere) des gesamten Schiffsraums einnahmen. Die Kabinen der zweiten
Klasse befanden sich im hinteren Schiffsviertel (etwa 9 Prozent für 564
Passagiere), die der Auswanderer im Achterschiff oder ganz vorn, wo auch ein
Teil der Besatzung unterkam. Der Begriff »Zwischendecker« trifft also nicht
mehr zu und wird richtigerweise durch »Achterdeckspassagiere« ersetzt oder
vornehmer durch »Dritte Klasse« (auch Beesley verwendet diese Bezeichnungen).
Sie kamen bei der Raumvergabe am schlechtesten weg (8 Prozent für 1 134
Passagiere). Wenn man die Heizer und Maschinisten dazuzählt, die weit unten
hausten und schufteten, spiegelt der Rumpf der Titanic genau den
Querschnitt der damaligen Gesellschaft wider. Zwar hatten es die Auswanderer an
Bord besser als je zuvor, aber der Weg zu den Rettungsbooten war unendlich weit
und kompliziert, und es ist wohl richtig, daß ihn viele nicht oder zu spät
fanden. Schließlich gab es neben der Sprachbarriere und den abweichenden
Mentalitäten auch handfeste Hindernisse, welche die Klassen normalerweise
rigoros trennten. Das war ein Relikt aus der amerikanischen Gesetzgebung zu
einer Zeit, als Seuchen auf Auswandererschiffen vornehmlich bei den
Zwischendeckern vorkamen.
Offiziell wird immer wieder
betont, daß die Sperren – später – in der Nacht des Unterganges geöffnet waren,
für die inneren Türen der Menschen der dritten Klasse mag das nicht ausgereicht
haben.
Rückblickend
muß man eingestehen, daß die Gesetze von 1894 bezüglich der Ausrüstung mit
Booten schon bald überholt waren, denn die Schiffsgrößen wuchsen rasant: 1899
lag die berühmte Oceanic (II) der White Star Line schon deutlich über
den maximal 10000 tons, für die 16 Rettungsboote vorgeschrieben waren, die Celtic von 1901 war schon mit 20904 tons vermessen. Olympic und Titanic waren
dreimal so groß wie die Bemessungsgrundlage, hätten also auch dreimal so viele
Rettungsboote benötigt, wenn die Verhältnisse stimmen sollten. Die deutschen
Vorschriften des Germanischen Lloyd von 1896 verlangten einerseits einen
Rettungsbootplatz für jedes Besatzungsmitglied, begnügten sich andererseits
aber mit maximal 14 Booten insgesamt. Gerechterweise muß man anmerken, daß der
Chefkonstrukteur der White Star Line, Alexander
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