Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
um einer Kollision mit Eis zu entgehen – keine Überlebenden.
Erst vor wenigen Jahren sorgte eine Beinahe-Katastrophe im nördlichen Eismeer
für Schlagzeilen (1989, Kreuzfahrtschiff Maxim Gorki, ex Hamburg). Die
Überflutung einer weiteren Abteilung hätte vielleicht zum gleichen Ergebnis
geführt wie 1912.
War also
alles Hoffen, alles Bemühen von Beesley und seinen Mitstreitern von damals
umsonst? Nein, denn es ist viel erreicht worden in der Zwischenzeit. Aber es
sind schließlich die Zufälligkeiten des Augenblicks, die menschliche Irrtümer
oder unzureichende Technik zu Katastrophen werden lassen – nicht das
Vorhandensein oder Fehlen von Vorschriften. Die gesetzlichen Grundlagen wurden
in der Tat verbessert, und dieser beständige Prozeß hat im Zeitalter der
schnellen Containerschiffe oder der gefahrträchtigen Großtanker nichts an
Bedeutung verloren. Mehr Sicherheit auf See wird heute eher durch
wirtschaftliche Randbedingungen beeinträchtigt, nicht durch fehlende
Regularien.
Aber wie ist
es mit der Gewichtung von Verantwortlichkeiten zur Titanic -Tragödie aus
heutiger Sicht? Die Beantwortung dieser Fragen bringt uns zu dem Abschnitt der
heutigen Erkenntnisse, die das Schicksal der Titanic selbst und die
Geschichte der Seefahrt auf dem Nordatlantik betreffen, soweit sie in diesem
Zusammenhang von Interesse ist.
Zuerst soll
Stellung bezogen werden zum umfassend diskutierten Anklagepunkt: Wie kam es zu
den derart unvollkommenen Vorschriften für Rettungsboote im allgemeinen und bei
der englischen Handelsmarine im besonderen? Verteidiger dieser Regelungen
könnten damals wie heute antworten: So schlecht waren die Vorschriften gar
nicht! Immerhin hatte jeder Passagier und jedes Besatzungsmitglied eine
Schwimmweste, und es gab Plätze in den Booten, die nicht ausgenutzt wurden.
Wenn wir uns die Entwicklung der Rettung menschlichen Lebens auf See einmal im
Ablauf der Geschichte ansehen, ist der Standard von 1912 tatsächlich nicht so
schlecht, wie er gern dargestellt wird. Zunächst müssen wir uns aber gedanklich
frei machen von unseren heutigen Sicherheitsansprüchen, ähnlich wie es Beesley
schon anregte: eine mentale Reduktion ist vonnöten. Die Seefahrt ist seit
Urzeiten eine lebensgefährliche Sache gewesen, und alle Beteiligten wußten das
ganz genau. Hatte ein Besatzungsmitglied das Pech, außerhalb des Hafens über
Bord zu fallen, dann war er so gut wie tot. Dieses Berufsrisiko wurde
akzeptiert, und bis in die Neuzeit wurde kaum etwas unternommen, es zu
verringern, seien es nun administrative oder schiffbauliche Maßnahmen oder der
persönliche Ehrgeiz, zum Beispiel das Schwimmenlernen. Die Personengruppe der
Seefahrer war sozusagen unter sich, ihre Aufgaben waren über Jahrhunderte die
gleichen: Fischfang, Warentransport, Kampf gegen Feinde. Passagiere im heutigen
Sinne spielten außerhalb des Fährgeschäfts praktisch keine Rolle; wer sollte
schon so verrückt sein, freiwillig übers Meer zu fahren?! Bis zu den
Aktivitäten des Thomas Cook gab es wenige Ausnahmen: Entdecker, Diplomaten,
Wissenschaftler. Sie wurden an Bord geduldet, aber wenn das Schiff
verlorenging, war ihre Rettungschance nicht größer als die jeder anderen Seele.
Als die
Schiffsabmessungen zulegten, gab es an Bord ein oder mehrere Boote, die im
allgemeinen kieloben oder ineinander auf Deck festgezurrt waren und nur im
Hafenbereich für Zubringerdienste vorgesehen waren, keinesfalls als
Rettungsgerät. Das Zuwasserlassen bei Segelschiffen in Fahrt war technisch ein
schwieriges Manöver, und sollte jemand das große Schiff tatsächlich per Boot
verlassen haben, mangelte es meist an der Ausrüstung, um eine längere Seefahrt
in der offenen Nußschale lebend zu überstehen.
Ausnahmen,
wie zum Beispiel Kapitän Blighs 4000-Seemeilen-Törn nach der Meuterei auf der Bounty, bestätigen nur diese Regel. Bei den Seestreitkräften war man meist besser
ausgerüstet, und diese waren durch Vorschriften zu einer Inspektion und
Mindestausstattung verpflichtet – aber das galt den Booten in ihrer Funktion
als kleine Kampfeinheiten, nicht primär dem Rettungseinsatz. Überhaupt waren
die Boote unbeliebt, galt das Interesse der Besatzung doch in erster Linie dem
Überwasserhalten des eigentlichen Schiffes – besonders, wenn es dem Kapitän
gehörte.
Der
Sklavenhandel brachte eine lukrative Neuerung mit sich, um mehr Menschen
unterzubringen: Man brauchte nur eine weitere Ebene zwischen Laderaum und
Oberdeck einzuführen und hatte damit die
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