Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
an Bord des Schiffes.
Die Offiziere und Mannschaften spüren den depressiven Einfluß, und es kann
soweit kommen, daß sie von ihrer üblichen Wachsamkeit und Präsenz abgehalten
werden. Genauso wie das unbewußte Verlangen nach höherer Geschwindigkeit, um
über den Atlantik zu kommen, mag es Kapitäne veranlaßt haben, ein Risiko
einzugehen, von dem sie sich sonst fernhielten, so daß diese düsteren Vorboten
manchmal mehr Einfluß haben, als wir uns vorstellen können. Es bedarf oft nur
einer Kleinigkeit, das Geschehen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Am Ende
dieses Kapitels von mentalen Eindrücken muß davon berichtet werden, daß ein
Eindruck in uns bleibt bis zum heutigen Tage – jener der tiefen Dankbarkeit,
daß wir sicher vom Wrack der Titanic fortkamen, und ihre
Folgeerscheinungen – daß es unser Vermächtnis ist, dafür zu sorgen, soweit es
an uns liegt, daß sich solche Dinge nie wieder zutragen dürfen. Inzwischen
können wir von ihnen das sagen, wie Shelley * – selbst ein Opfer eines ähnlichen Unglücks – von
seinem Freund Keats sprach in ADONAIS:
»Ruhe, Ruhe! Er ist nicht
tot, er schläft nicht –
Er ist
aufgewacht vom Traum des Lebens –
Er ist wach
und lebt. Es ist der Tod des Todes selbst,
nicht seiner
–
Traure nicht um Adonais.«
Fazit oder Titanic zum letzten
Alles war normal auf der
Jungfernfahrt der Titanic oder sah doch zumindest im Jahre 1912 so aus.
Dazu gehörte die gewöhnliche Bordroutine und das langsame Hochfahren der neuen
Maschinenanlage. Die Gäste des Luxushotels wußten um die Qualitäten des
Schiffes und verließen sich auf die Erfahrung der Offiziere. »An Bord alles
wohl«, wie es ein geflügeltes Wort aus der Seemannssprache so treffend
beschreibt, und kein Problem in Sicht, daß man nicht zu lösen können glaubte.
Dieser
Bericht ist nie so geschrieben worden – aber er hätte dem normalen Ablauf
entsprochen. Das Eintreffen des von Beesley erwähnten 1:1-Million-Risikos
machte aus einer normalen Reise eine außergewöhnliche.
Murdochs
gutgemeintes, aber falsches Kommando machten aus einer außergewöhnlichen eine
fatale Reise.
Eine Reihe
unglücklicher Umstände verschlechterte die Stabilität des Schiffes.
Das Fehlen
von ausreichendem Bootsraum machte eine Katastrophe möglich.
Hochmut und
die Reaktion der schon Geretteten in den Booten machte sie perfekt.
Das sollte
man über allen mühsam herausgefundenen Unzulänglichkeiten nicht vergessen.
Ähnliche Konstellationen sind heute und morgen möglich. Die sich daraus
ergebenden Folgen werden die Erinnerung immer wieder zu dem Unglück von 1912
zurückkehren lassen und den Mythos der Titanic auch in Zukunft
aufrechterhalten.
Nachwort: Neue Bewertungen
Wenn man Beesleys Geschichte
gelesen hat, mag man kaum glauben, daß das alles in kaum acht Wochen
konzipiert, niedergeschrieben und gedruckt wurde. Neben dem kommerziellen Anreiz
ist diese Anstrengung vielleicht nur zu verstehen, wenn man seine letzte
Bemerkung – die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht – sehr
ernst nimmt: Sein Werk sollte nicht in erster Linie als Anklage zu verstehen
sein, sondern als Vermächtnis den Unglücklichen gegenüber, die an seiner Seite
einen grausigen Tod starben.
Sieht man von
wenigen Fehleinschätzungen ab, so erstaunt das weite Spektrum, mit dem Beesley
sich auseinandergesetzt hat, um seine Ausführungen zu untermauern. Aus Anlaß
dieses Unglücks drückte er damals populär aus, was leider heute noch Bestand
hat, wie zum Beispiel: das Fehlen von Rücksichtnahme gegenüber den Mitmenschen,
das Streben nach Größer, Schneller, Weiter… Bequemer; einer urmenschlichen
Schwäche, der auch Beesley selbst erliegt (siehe seine Begründung für die
Passage an Bord der Titanic), den fahrlässigen Umgang mit Vorschriften
nach dem Motto: »… es wird schon gutgehen, und wir haben es schon immer so
gemacht…«, teilweise sensationslüsterne Presse – trotz vorgeblicher
Selbstkontrolle.
Die später
erfolgten internationalen Aktivitäten, die Beesley so vehement forderte,
konnten trotz aller Anstrengungen natürlich nicht verhindern, daß die
Schiffahrt von ähnlichen Unglücken verschont blieb. Eis-Kollisionen gibt es weiterhin,
sogar Totalverluste, ähnlich jener der Titanic, sind zu beklagen: z. B.
das moderne, eisverstärkte dänische Motorschiff Hans Hedtoft versank
1959 zwischen Grönland und Island, wahrscheinlich während eines mißglückten
Ausweichmanövers,
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