TITANIC-WORLD
vorgenommen“, sprach Thomas Andrews weiter und Emily lauschte ihm fasziniert, obwohl sie die Geschichte mehr oder weniger kannte. „Das Promenadendeck der TITANIC, zum Beispiel, ist, im Gegensatz zu dem der OLYMPIC, verglast. Einige Passagiere hatten sich nämlich über die Gischt beschwert und nun“, er lächelte schelmisch, „bleiben sie trocken. – Wie Sie vielleicht wissen, hat die Reederei drei Schiffe bei Harland & Wolff in Auftrag gegeben. Deswegen bin ich hier und durchstreife die Decks, immer auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten. Denn das letzte Schwesterschiff, die GIGANTIC, soll alles in sich vereinen, was die moderne Schiffsbautechnik und die Architektur zu bieten haben. Die GIGANTIC wird das prächtigste, komfortabelste und sicherste Schiff seiner Zeit werden.“
Als er geendet hatte, legte ihm Emily ganz spontan eine Hand auf den Arm und sagte anerkennend: „Sie machen das großartig – ganz großartig. Mir ist es, als hätte ich gerade wirklich ein Schwätzchen mit Thomas Andrews gehalten.“
„Danke, Madam.“ Er verneigte sich leicht. Während er weitersprach, verlor sich derirische Akzent in seiner Stimme wieder; jetzt klang sie sehr englisch. „In Vorbereitung auf meine Rolle hier habe ich alles über ihn gelesen, was ich in die Finger bekam. Außerdem hat Cecilia, hm, also ich meine Mrs. von Hochstett, den jeweiligen Darstellern der historischen Personen sehr detaillierte Biografien gegeben – und verlangt, dass wir sie auswendig lernen.“ Den letzten Satz begleitete wieder jenes verschmitzte Lächeln, dass unweigerlich an einen großen Lausbub‘ erinnerte. Emily gefiel der junge Mann sehr und sie hätte gerne noch weiter mit ihm geplaudert, aber sie wollte seine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Außerdem gab es noch so viel zu sehen und der Tag währte nicht ewig. Mit einem Lächeln reichte sie ihm die Hand und sagte zum Abschied: „Ich möchte mich ganz herzlich bei Thomas Andrews für diese nette Unterhaltung bedanken. Ihnen, junger Mann, wünsche ich alles Gute im Leben und weiterhin viel Erfolg als Schauspieler.“
Als Emily zehn Minuten später bei einem Glas Champagner die vornehme Atmosphäre des Rauchsalons auf sich wirken ließ, dachte sie über die letzten Stunden nach. Sie freute sich, dass Sallys positive Ansichten ihre Neugierde geweckt und sie schließlich dazu veranlasst hatte, alle Bedenken über Bord zu werfen und ein Ticket zu bestellen. Emily fand, dass sich ein Besuch der TITANIC-WORLD in jeder Hinsicht lohnte. Das Gefühl, einen Tag in der Vergangenheit verbringen zu können, empfand sicherlich jeder Mensch als einmalig. Für Emily aber war es mehr, als nur einen Blick zurück zu werfen. Großvater Joseph, obwohl er auf der TITANIC gearbeitet hatte, war niemals in den Genuss gekommen, das modernste und sicherste Schiff seiner Zeit mit eigenen Augen bewundern zu dürfen. Sein Weg führte vom Kai direkt hinunter in die Kesselräume. Dorthin, wo Kohlenstaub das Atmen erschwerte und die Hitze an das Fegefeuer der Hölle gemahnte. Dort, unterhalb der Wasserlinie, wo nie ein Sonnenstrahl das diffuse Dunkel erhellen würde, hatten die Heizer, Trimmer und Maschinisten ihr fast vergessenens Reich. Keinem von ihnen war es vergönnt gewesen, aus der Armut, in die sie hinein geboren waren, je heraus zu finden. Sie waren zähe Männer in einer harten Welt, in der der Kampf zu überleben, alltäglich war. Die Dekadenz der oberen Decks muss ihnen so fremd erschienen sein, wie das Universum – dennoch waren sie ein Teil davon. Denn erst ihre Arbeitskraft sorgte dafür, dass das Vermögen der Millionäre an Bord einen Wert erhielt.
Tief in Gedanken versunken trank Emily langsam ihren Champagner. Hier im Rauchsalon der ersten Klasse – an einem Ort, den ihr Großvater niemals hätte aufsuchen dürfen – fühlte sie sich ihm plötzlich ganz nah. Ihr fiel ein, wie kontrovers die Diskussion um die TITANIC-WORLD geführt worden war. Zu oberst in der Kritik standen natürlich die Cyber-Welten; aber auch das Steuern des Schiffes vor einer 3-DLeinwand, sowie das Verlassen der Erlebniswelt in einem Rettungsboot empfanden viele als pietätlos. Vor dem heutigen Tag hatte Emily ähnlich darüber gedacht. Doch jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie sich in dieser Beziehung zu sehr von der öffentlichen Meinung hatte beeinflussen lassen. Die TITANIC-WORLD warb schließlich damit eine Erlebniswelt zu sein und versprach, dass jeder Besucher seine eigene, ganz
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