TITANIC-WORLD
nachgedacht, dass, selbst wenn dieses Sicherheitssystem versagt, man immer noch die Möglichkeit hat, sich die CAT-Specs vom Kopf zu reißen und damit dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen?“
Er blickte triumphierend in die Runde – nee, daran hatte selbstverständlich niemand gedacht! Das stand deutlich in ihren Gesichtern geschrieben. Ian räusperte sich und fragte skeptisch: „Geht das denn einfach so? Ich meine, was passiert, wenn man die Dinger ’runter nimmt? Wahrscheinlich bricht man dann doch auch für alle anderen die Vorstellung ab, oder?“
„Ich nehm‘s an“, antwortete Gareth schulterzuckend. „Wissen tu ich’s natürlich nicht. Aber, das ist doch auch pissegal ! Ich wollte damit doch nur unterstreichen, was Fiona bereits gesagt hat: Die gesamte Vorstellung ist nicht real und man kann jederzeit ‘raus aus dem Geschehen! Ohne die CAT-Specs auf der Nase steht man doch sofort wieder im wahren Leben!!“
„Mit anderen Worten: Alle Geschichten im Internet oder der Zeitung sind nur erfunden?“ Gemma sah ihn kopfschüttelnd an. „Das glaub‘ ich nicht. Außerdem …“
„Außerdem hab‘ ich keinen Bock mehr weiter darüber zu diskutieren“, unterbrach Gareth sie barsch. „Die Cyber-Welten sind ungefährlich. Punkt! Wenn du Schiss kriegst, reißt du dir einfach die Dinger vom Kopp und – Ende, Gelände!“ Er sah Ian und Gemma herausfordernd an: „Also, wie sieht’s aus? Seid ihr mit von der Partie, oder nicht?“
Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr, als Nathan und Craig erschöpft das South Western House betraten. In ihrer Suite angekommen, schenkte Craig zwei überdimensionle Bourbon ein, bevor er sich kraftlos neben seinen Onkel auf die Couch fallen ließ. Mit fahrigen Bewegungen zündete er sich eine Zigarette an und starrte gedankenverloren ins Leere. Das plötzliche Klingeln seines Handys erschreckte ihn so sehr, dass er beinahe das Glas hätte fallen lassen. Er warf einen Blick auf das Display und nach kurzem Zögern nahm er ab.
„Craig? Hier ist Cecilia. Ich hab’s so eben in den Nine o’clock News auf BBC gehört. Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“
„Würdest du her kommen?“ Die Frage rutschte ihm heraus, bevor er es verhindern konnte.
„Natürlich“, antwortete sie genauso spontan, während sie sich flüchtig fragte, warumes ihnen beiden so schwer fiel, von alten Gewohnheiten Abschied zu nehmen. „Bist du noch in der TITANIC-WORLD ?“
„Nein, ich, äh, wir, sind zu Hause. Ich schick‘ dir den Wagen.“
„Ist nicht nötig. Ich nehm‘ ein Taxi.“
Nach dem Craig aufgelegt hatte, warf er einen unbehaglichen Blick auf Nathan. Er war sich nicht sicher, wie sein Onkel reagieren würde, wenn Cecilia gleich im Türrahmen stand. Schließlich hatte sie ihm am Morgen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht; etwas, das bislang nur wenigen Menschen geglückt war. Aber Nathan saß teilnahmslos da und sah aus dem Fenster. In der Ferne stach die dunkle Silhouette der TITANIC-WORLD gegen den sternübersäten Himmel ab. Der Anblick gab Craig einen Stich ins Herz. Er leerte sein Glas in einem Zug und starrte trübsinnig auf den schwarzen Schemen. Die bunte Leuchtreklame war aus Pietätsgründen abgeschaltet worden; die Erlebniswelt für einen unbestimmten Zeitraum geschlossen.
Craig erhob sich, um einen weiteren Drink einzuschenken. Doch mit einem Mal überfielen ihn die Geschehnisse des Tages und die Last drohte ihn nieder zu drücken. Mit dem Glas in der Hand stand er da; die Schultern vornüber gebeugt, den Kopf mit den geschlossenen Augen gesenkt. Im Geiste sah er das flackernde Blaulicht der Krankenwagen, Claires blutüberströmtes, zu Tode erschrockenes Gesicht, eine rußverschmierte Hand, die unter dem Laken, das den toten Körper bedeckte, hervorlugte. Er hörte die Schreie, Martins zusammenhangloses Gestammel und noch einmal fühlte er die Decks der TITANIC-WORLD erbeben. Mit einem Schaudern wandte er sich um und blickte erneut aus dem Fenster. Unverändert lag sie da – ein riesiger, finsterer Schatten, stolz und aufrecht, bereit, erneut die Kulisse einer Tragödie zu werden!
Knapp zehn Minuten später betrat Cecilia die Penthouse-Suite. Craig bot ihr einen Drink an, den sie dankend annahm. Obwohl sie de facto nichts mehr mit der Erlebniswelt zu tun hatte, fühlte sie sich ebenso betroffen und schockiert, wie die beiden Männer. Eine zeitlang saßen sie da, ohne zu reden. Schließlich ergriff Nathan das Wort und seine Stimme klang brüchig, als er
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