TITANIC-WORLD
allerdings nicht das erste Mal, dass seine Frau verspottet wurde. Als er auf die Terrasse trat, stellte er erleichert fest, dass sich keiner der Gäste – die unfreiwillig Zeugen der peinlichen Szene im Frühstücksraum geworden waren – hier draußen befand. Er atmete auf, ließ sich in einen Stuhl sinken und zündete sich eine Zigarette an. Sein Blick fiel auf den schönen gepflegten Hotelgarten. Die Tautropfen glitzerten im Morgensonnenschein und er versuchte sich an der Farbenpracht zu erfreuen. Es gelang ihm nicht.
Diese viertägige Reise nach Southampton war ein Geschenk ihrer Kinder, anlässlich ihrer Silberhochzeit im Mai. Seine dreiundzwanzig jährige Tochter Yvette hatte bereits durchblicken lassen, dass die gesamte Familie das Ereignis zu feiern gedachte und sie deswegen schon im April auf Silberhochzeitsreise gehen mussten. Weder Yvette, noch sein Sohn Pierre, hatten bemerkt, wie unwillkommen dieses Geschenk gewesen war. Wie sollten sie auch? Beide lebten nicht mehr zuhause und wussten nicht, dass sich ihre Eltern nichts mehr zu sagen hatten. Jedesmal, wenn Yves über den desolaten Zustand seiner Ehe nachdachte, versuchte er zu ergründen, wann die Liebe zwischen ihnen erloschen war; eine Antwort fand er nie. Die Reise nach Southampton hatten sie schließlich angetreten, denn es war einfacher, den Scheinaufrecht zu erhalten, als die Wahrheit ans Licht zu zerren. Aber insgeheim hatte er sich bei der Vorstellung, vier Tage und Nächte mit seiner Frau verbringen zu müssen, gewunden. Noch unerträglicher aber war der Gedanke gewesen, mit ihr in einem Bett schlafen zu müssen. Zuhause in Paris hatten sie, seit Pierre vor drei Jahren ausgezogen war, getrennte Schlafzimmer – und wenn er es jetzt recht bedachte, auch getrennte Leben. Seit fast zwei Jahren hatte Yves ein Verhältnis zu seiner zehn Jahre jüngeren Kollegin, Amèlie. Sie verkörperte all das, was seine Frau im Laufe der Ehe verloren zu haben schien – aber hatte sie es jemals besessen, dass Bedürfniss ihn glücklich zu machen?
Als er jetzt hier auf der Terrasse saß, den friedlichen Anblick des Gartens vor Augen, da dachte er traurig, um wieviel schöner es wäre, Amèlie an seiner Seite zu haben; und zum ersten Mal zog er eine Scheidung ernsthaft in Erwägung.
Ihre Reise nach Southampton hatte am 17. April mit einer historischen Überfahrt von Cherbourg hierher begonnen. Mit bitterer Ironie dachte Yves, dass diese kurze Schifffahrt der wohl angenehmste Teil des Kurzurlaubs bleiben würde. Antoinette war zu seekrank gewesen, um zu nörgeln oder sich lautstark zu beschweren. Die letzten beiden Tage hingegen glichen einem Alptraum, aus dem er nicht erwachen konnte. Antoinette fand an all und jedem etwas auszusetzen; das Hotel war zu groß und anonym, das Zimmer zu klein und zu düster. Die Dusche – quelle catastrophe , das Frühstück zu fett, der Kaffee zu dünn und das Essen im Allgemeinen, einfach nur ungenießbar. Die Stadtrundfahrt des gestrigen Tages hatte Antoinette überreichlich Gelegenheit gegeben, sich zu beschweren. Jedes angesteuerte Ziel, ob Titanic-Denkmal oder mittelalterliches Stadttor, nichts war einer näheren Betrachtung für würdig befunden, sondern nur als kreuzlangweilig kommentiert worden. Einzig die Mahnwachen und die kleinen Protestflyer, die überall verteilt wurden, schienen Madame amüsiert zu haben. Den Bus fand sie unbequem, die Mitreisenden zu laut, das Französich des Fremdenführers unverständlich. Selbst das Wetter betrachtete seine Frau als einen persönlichen Affront – der englische Frühling hatte gefälligst nass, kalt und ungemütlich zu sein und keinesfalls warm und sonnig, wie daheim.
Heute stand der Ausflug in die TITANIC-WORLD auf dem Programm und Yves stöhnte innerlich laut auf, wenn er nur daran dachte. Weder er, noch Antoinette interessierten sich für die Geschichte des versunkenen Luxusliners, aber Yves war dennoch gespannt, was ihn in dieser sogenannten Erlebniswelt erwarten würde. Selbst die Presse, die vor der Eröffnung nur wenig Gutes über die TITANIC-WORLD zu berichten wusste, hatte ihre Meinung revidiert und lobte sie jetzt, als eine gelungene Freizeiteinrichtung. Trotzdem war er sich sicher, dass seine Frau ausreichend Gelegenheit finden würde, um mit ihrem Gemecker allen die Laune zu verderben.
Während Yves sich innerlich auf einen weiteren Tag mit Anoinette einzustellen versuchte, saß Inspektor Parker hinter dem Schreibtisch in seinem Büro. Mike Hays stand mit
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