TITANIC-WORLD
dieser Unsinn schon wieder! Da stellen die eine Zeitung aus und dann kann man die noch nicht einmal lesen, weil die Beleuchtung zu schwach ist!“
Sie sah sich angriffslustig um und etwas in ihrem Blick sagte Yves, dass sie wahrscheinlich überlegte, zu einem der Stewards zu gehen, um sich lautstark über das schlechte Licht in den Schaukästen zu beschweren. Es würde eine peinliche Szene geben; und mit einem Mal langte es ihm. Er sah seine Frau scharf an und bemerkte in einem ungewohnt bissigen Tonfall: „Vielleicht solltest du dir die Mühe machen, erst die kleinen Beschreibungen zu lesen, bevor du den Mund aufmachst. Hier steht nämlich, dass die Konservierung der Zeitung extrem zeitaufwendig war. Es musste mit größtmöglicher Sorgfalt gearbeitet werden, um überhaupt die Chance zu haben, sie auch nur annähernd in ihren ursprünglichen Zustand zurück versetzen zu können. Helles Licht beschleunigt den Zerfall und deswegen kann diese Zeitung nur schwach beleuchtet ausgestellt werden.“
Noch während er sprach, hatte Antoinette in ungläubigem Stauen die Augen aufgerissen. Das konnte doch nicht ihr Mann sein, der so mit ihr redete! Sie hatte sichzwar oft gewünscht, dass Yves nicht immer so einsilbig antworten würde, aber auf diese Form der Erwiderung konnte sie gut verzichten. Sie funkelte ihn wütend an und zischte: „Deine dummen Kommentare kannst du für dich behalten! Mich interessiert deine Meinung nicht!“
Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und ging tiefer in den Raum hinein. Yves sah ihr kurz nach. Dann verließ er mit entschlossenen Schritten die Hall of Silence und es kümmerte ihn wenig, dass Antoinette nicht wissen würde, wohin er gegangen war.
Als er den Rauchsalon auf dem A-Deck betrat, entdeckte er einige Leute aus ihrer Reisegruppe. Sie erkannten ihn und nickten ihm zu. Yves erwiderte den Gruß flüchtig und ging weiter, froh darüber, dass sie ihn nicht zu sich gewunken hatten. Er wollte allein sein und nachdenken. Nach einigem Suchen fand er schließlich einen freien Tisch im hinteren Teil des Rauchsalons und bestellte einen doppelten Cognac. Als der Drink vor ihm stand, zündete er sich eine Zigarette an und starrte aus dem Fenster. Der Besuch der TITANIC-WORLD war schrecklicher verlaufen, als er es sich hatte vorstellen können. Noch vor dem Betreten der Erlebniswelt hatte sich Antoinette bereits dem Vorschlag des Reiseführers widersetzt und sich geweigert über die Gangway der dritten Klasse das Schiff zu betreten. Dabei hatte der Reiseführer ihnen nur eine längere Wartezeit vor der ersten und zweiten Klasse ersparen wollen. Yves, dem es letztendlich egal war, durch welche Klasse er die TITANIC-WORLD betrat – schließlich war der Eintrittspreis überall der Gleiche – hatte dem erbitterten Protest seiner Frau schnell nachgegeben und sich mit ihr in der ersten Klasse angestellt. Damit verfolgte er allerdings den ganz eigennützigen Zweck, sich und Antoinette von ihrer Gruppe zu trennen; die vielen mitleidigen Blicke, die ihm zu geworfen wurden, konnte er nicht mehr ertragen. Außerdem verhinderte er so auch, dass seine Frau gleich der ganzen Reisegruppe den Ausflug verdarb. Und wie Recht hatte er damit getan! Innerlich stöhnte Yves auf. Während sie durch die nachgebauten Ausstellungsräume gegangen waren, hatte er immer wieder bewundend gedacht, dass das Wort Erlebniswelt in jeder Beziehung zutraf. Man fühlte sich wirklich wie auf der TITANIC. Doch nicht nur das Schiff wurde in der TITANIC-WORLD greifbar, sondern auch seine tragische Geschichte. Die ganze Aufregung, um Unmoral und Pietätlosigkeit konnte er nicht nachvollziehen. Außer den Cyber-Welten und dem Raum mit den Spielkonsolen, konnte er keine Geschmacklosigkeiten finden. Es handelte sich eben um eine neue, innovative Form eines Museums und so weit er feststellen konnte, traf die TITANIC-WORLD genau den Puls der Zeit. Hier tummelten sich Menschen jeden Alters und keiner langweilte sich. Er erinnerte sich an einen Besuch im Louvre , als Yvette zwölf und Pierre zehn gewesen war und wie nervenaufreibend sich die Besichtigung mit zwei quengelnden Kindern gestaltet hatte. Ja, ihm gefiel die TITANIC-WORLD und er fand nicht nur die meisterhaft konservierten Artefakte und die mit viel Liebe zum Detail nachgebauten Räumlichkeiten sehenswert, auch die Geschichten von Passagieren und Crew, die durch die schlichten stilvollen Gedenktafeln überall gegenwärtig waren, interessierten ihn. Doch es war ihm
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