TITLE
türkischengoldgestickten Stoffen bedeckt. Die ganze Loge erinnerte mich im kleinen an Romneys Atelier. Ich war ganz entzückt darüber, mich auf der Bühne zu befinden. Es freute mich dies zehnmal mehr, als wenn ich im Zuschauerraum gewesen wäre, selbst wenn man mir die königliche Loge zur Verfügung gestellt hätte. Mit Ungeduld erwartete ich das Aufgehen des Vorhangs. Mittlerweile aber hatte ich ein Schauspiel, welches fast noch interessanter war als das der Tragödie, nämlich das hinter den Kulissen. Alle Künstler sprachen miteinander über ihren Kollegen Talma und fragten sich, welche neue »Ausschreitung« in bezug auf das Kostüm er sich erlauben würde. Mit diesem Ausdrucke »Ausschreitung« bezeichneten sie nämlich die förmlich wissenschaftliche Arbeit, welcher Talma sich unterzog, um das Theater zur historischen Wahrheit zurückzuführen. Endlich ließ das Glöckchen sich hören, man tat die drei Schläge, der Regisseur machte Platz für die Künstler und der Vorhang ging auf. Ich gestehe, daß, als in der ersten Szene des zweiten Aktes Titus auftrat, ich einen Ruf der Bewunderung ausstieß. Es war mir, als sähe ich eine römische Bildsäule einhergewandelt kommen. Der Kopf war ganz besonders wunderschön. Das nach antiker Weise kurz geschnittene Haar, der Lorbeerkranz, der nicht festgebundene, sondern nachlässig über die Schultern geworfene Purpurmantel, so daß dem Träger freies Spiel damit gestattet war – alles dies ließ der Physiognomie des Künstlers ein eigentümliches Gepräge, welches den Zuschauer um siebzehnhundert Jahre zurückversetzte. Die sämtlichen übrigen Darsteller sahen dagegen aus wie Masken. Die Rolle der Berenice war, so viel ich mich erinnern kann, mit einer jungen schönen Aktrice besetzt, welche Madame Bestris hieß. Sie trug das altertümliche Kostüm, Puder und Reifröcke. Als sie in der vierten Szene des zweiten Aktes auftrat und sich Titus gegenüberbefand, machte sie erst eine Gebärde der Überraschung und unterdrückte dann eine heftige Anwandlung zum Lachen. Titus ging mit nackten Armen und Beinen, während die andern Trikots und seidene Beinkleider trugen. Nichtsdestoweniger sagte sie mit dem ganzen seelenvollen Ausdruck, welchen sie dareinlegen konnte, die lange Tirade, welche fast diese ganze Szene ausfüllte. Nachdem sie jedoch den letzten Vers gesprochen, hörte sie nicht auf die Antwort des Titus, sondern betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen und murmelte:
»Aber, mein Gott, Sie haben ja keine Perücke! Sie tragen ja weder Trikot noch Beinkleider.«Talma, der mittlerweile zu Ende gesprochen, antwortete ihr leise:
»Liebe Freundin, dergleichen trugen die Römer ja nicht.«
Berenice fuhr in ihrer Rolle weiter fort, und die Zuschauer, welche von diesem leisen Zwischenspiel nichts gehört, waren zu Tränen gerührt.
Ich bog mich in den Hintergrund der Loge zurück, um ungeniert lachen zu können, während Sir William in seiner Eigenschaft als Altertumskenner wiederholt sagte:
»Er hat recht, er hat vollkommen recht. Bravo, junger Mann, Bravo! Sie sehen aus wie eine in Herkulanum oder Pompeji ausgegrabene Statue. Perge! Sic itur ad astra! «
Der Tragöde verneigte sich zum Zeichen des Dankes leicht nach unserer Seite. »Wer sind die Leute, die du in deiner Loge hast?« fragte Madame Bestris in mürrischem Tone, während sie immer weiter spielte.
»Es sind englische Künstler,« antwortete Talma mit einem leichten Lächeln, welches auf die Rechnung der Liebe gebracht ward, welche Titus für Berenice empfindet.
»Ja, Künstler, Herr Talma!« rief ich Beifall klatschend, »Sie haben recht, echte Künstler.« Als Titus abtrat, spendete ich doppelten Beifall, denn dieser Abgang ward von dem jungen Tragöden bewundernswürdig ausgeführt. In dem Augenblicke, wo nach Beendigung des zweiten Aktes der Vorhang hinabfiel, hörte man einen lauten Beifallssturm im Zuschauerraum. Man bog sich aus den Logen und man schrie: »Bravo!« Von unserm Standpunkt aus konnten wir nichts sehen, einige Künstler aber näherten sich dem Vorhang und lugten durch das darin angebrachte Loch. »Was gibt es? was gibt es?« fragten die andern Schauspieler diejenigen, welche so glücklich waren, durch die Öffnung schauen zu können,
»Na,« antwortete eine Stimme, »das fehlte bloß noch!«
»Was denn?«
»Der Narr von Talma findet Nachahmer.«
»Wie?« fragte einer der Schauspieler; »gibt es vielleicht im Parterre Leute, welche keine Beinkleider anhaben?«
»Nein, wohl
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