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als sie wollten, damit bis um acht Uhr abends unfehlbar die beiden Kostüme fertig wären. Die beiden Schneiderinnen gaben mir ihr Wort. Ich rechnete auf dasselbe ebenso fest, wie ich am Tage zuvor auf die Edelmannsparole des Gouverneurs Delaunay gebaut, und stieg um halb zehn Uhr in den Wagen, um mich mit Sir William nach der Bastille zu begeben. Als wir jedoch den Boulevard du Temple erreichten, war die Menschenmenge so dicht, daß es uns unmöglich war, auf diesem Wege weiterzukommen. Wir fuhren deshalb durch die Rue du Temple, gewannen den Quai und fuhren dann an dem Arsenal vorbei. Auf dieser Seite war der Raum frei, denn überdie Bastille ging die Emeute nicht hinaus und ergoß sich linkerseits in die Vorstadt Saint-Antoine. Der Gouverneur erwartete uns und die Tafel war mit großem Luxus hergerichtet. Er lud uns ein, ohne Verzug zu frühstücken, weil die Emeute sich bis zu Mittag wahrscheinlich zu ihrem vollen Glanze entfaltet haben würde. Gleich bei dem ersten Gange beschuldigten wir, als wir die Menge der Speisen und die Feinheit der Weine sahen, den Gouverneur, daß er seinem Wort untreu geworden, weil er uns nicht die Kost der Gefangenen vorsetze.
»Mylady,« antwortete Delaunay, »Sie haben mir allerdings Bedingungen gestellt, innerhalb derselben aber mir vollen Spielraum gelassen. Wir haben in der Bastille Gefangene von verschiedenen Gattungen, von Prinzen vom Geblüt an bis zu Pasquillanten. Für die Beköstigung eines Prinzen von Geblüt sind fünfzig Franks täglich festgesetzt, für die eines Marschalls von Frankreich sechsunddreißig, für die der Generale und Brigadiers vierundzwanzig, für die eines Rats fünfzehn, für die eines gewöhnlichen Richters zehn, für die eines Geistlichen sechs und endlich für die eines Pasquillanten oder Flugschriftlers drei. – »Nun und?« fragte ich, denn ich wußte nicht recht, wo er mit dieser langen Aufzählung hinauswollte. – »Nun,« hob er an, »ich traktiere Sie als Prinzen von Geblüt. Sie haben ein Frühstück wie ein gefangener Prinz, weiter nichts.« – »Dann haben wir wohl das Frühstück des Herrn von Beaufort?« fragte ich. – »Nein, da irrst du dich, liebe Freundin,« sagte Sir William, »Herr von Beaufort sitzt nicht in der Bastille, sondern in Vincennes. Herr von Condé aber hat in der Bastille gefangen gesessen.« – »Wie?« rief ich. »Dann hat er hier seine Nelken gezüchtet! Wenn noch eine davon da ist, Herr Gouverneur, so werden Sie mir dieselbe schenken.« – »Da irrst du dich abermals,« sagte Sir William »Der Condé, welcher sich zum Gärtner machte, war Ludwig der Zweite, der große Condé, und dieser war ebenfalls in Vincennes, dafern du nicht zugeben willst, daß in der Bastille geboren werden auch so viel heiße, wie als Gefangener darin sein. Heinrich der Zweite, sein Vater, ein ziemlich trauriger Gesell, saß in der Bastille.«
»Aber das muß ich gestehen!« rief der Gouverneur, »ein englischer Gelehrter weiß von der Geschichte meiner Festung mehr als ich! Wohlan, einen Toast auf den Tower von London. Möge derselbe die Könige von England immer von ihren Feindenbefreien, ebenso wie die Bastille den König von Frankreich von den seinigen befreit. Ich kann Ihnen versichern, Mylord, daß der Herzog von Clarence in keinem bessern Wein ertränkt worden ist, als der ist, welchen Sie gegenwärtig trinken.«
Wir hatten eben, um dem Gouverneur Bescheid zu tun, unsere Gläser geleert, als man uns meldete, daß, wenn wir die Emeute in ihrer ganzen Schönheit sehen wollten, wir keinen Augenblick zu verlieren hätten. Der Gouverneur wollte uns noch länger bei Tische zurückhalten und versicherte uns, daß mir noch vollauf Zeit hätten. Die Neugier trug jedoch den Sieg davon und wir bestiegen den Turm, welcher der Vorstadt St. Antoine zunächst gelegen war. Als wir diesen hohen Punkt, von wo uns keine Einzelheit entgehen konnte, erreicht hatten, sahen mir den furchtbaren Auftritt in seiner ganzen Häßlichkeit.
»Pardieu!« sagte der Gouverneur, indem er Sir William sanft an der Schulter berührte, »ich kann Ihnen nicht bloß die Plünderung von Réveillons Magazin, sondern auch Réveillon selbst zeigen.«
»Wieso?«
»Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß er gestern Morgens, weil er wohl wußte, daß es sich um nichts Geringeres handelte, als ihn aufzuhängen, zu mir kam, um mich um ein Asyl zu bitten, was ich ihm natürlich auch bewilligt habe. Sehen Sie dort jenen kleinen Mann mit dem krausen Haar, den geballten Fäusten
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