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mich beim Erwachen.
Ich war vor ungefähr fünf Minuten aufgestanden und eilte an ihr Bett. »Wirklich,« sagte sie, »du bist die mächtigste Zauberin, die existiert hat. Du besitzest Macht über die Herzen und über die Leidenschaften. Ich habe sieben Stunden lang den Schlaf eines Kindes geschlafen. – O, du wirst mich niemals verlassen, nicht wahr? Du bist mein guter Genius!« Sie breitete die Arme nach mir aus. Ich neigte mich über sie und küßte sie auf die Stirn.
»Frage, ob niemand zu mir gewollt hat,« sagte sie.
Ich erriet ihre Gedanken. Sie hoffte, daß der verzweifelte Giuseppe trotz des Abredens seines Sohnes doch einen Versuch bei ihr machen würde, ihre Gnade zu erlangen. Ich ging selbst in die Vorzimmer und fragte nicht nur die Ehrendamen, sondern sogar die Türsteher; allein es war niemand gekommen. Ich lehrte zuKarolinen zurück, und teilte ihr diesen Umstand mit. Ihre Stirne umdüsterte sich.
»Sie haben es gewollt,« murmelte sie, »und ich habe mir dann keinen Vorwurf zu machen.« Zu mir gewendet fuhr sie dann fort: »Ich gebe dir auf den ganzen Tag deine Freiheit. Ich habe mehrere Briefe zu schreiben, mehrere Personen zu empfangen und morgen viele Befehle zu erteilen. Sei um sechs Uhr hier; wir werden uns heute abend nach Caserta begeben.«
»Und – wenn der Vater wieder kommen sollte –« sagte ich bittend.
»Wenn er wieder käme, so wollten wir sehen, was zu tun wäre,« erwiderte die Königin. »Sei doch ruhig, er wird nicht wieder kommen.«
Als ich das Palais verließ und die Kirche des heiligen Ferdinand passierte, um in die Chiajastraße einzubiegen, sah ich wie eine Menge Menschen nach dem Largo del Castello strömte. Ich befahl meinem Lakai, vom Wagen zu springen und nach der Ursache dieses Gedränges zu fragen. Er stieg ab, näherte sich einer Gruppe, die er fragte, und kam dann zurück. Mir war es, als ob die Leute in dieser Gruppe mich drohend anblickten. »Was gibt es denn?« fragte ich den Lakai. – »Mylady,« erwiderte er, »es scheint morgen auf dem Largo del Castello eine Hinrichtung stattfinden zu sollen. Man errichtet das Schafott.«
«Ins Hotel! ins Hotel!« rief ich, indem ich meinen Kopf in den Händen verbarg.
Ich begab mich zu Sir William.
»Sie wissen doch, was geschieht, mein Herr?« fragte ich.
»Ja,« erwiderte er, »das Tribunal scheint drei Jacobiner zum Tode verurteilt zu haben und morgen wird man sie wahrscheinlich hängen.« – »Die Königin fürchtet, daß morgen, eben wegen dieser Hinrichtung, ein Aufstand ausbrechen könnte, und fordert uns auf, den Tag in Caserta bei ihr zuzubringen.« – »Gehen Sie nur mit. Ich kann Neapel nicht verlassen. Ich soll meiner Regierung morgen über alle Vorgänge berichten und wenn ich in Caserta wäre, so könnte ich der Genauigkeit meiner Depesche nicht gewiß sein.«
»Ich hoffe doch, daß Sie der Hinrichtung der Unglücklichen nicht beiwohnen werden?« – »Ich weiß es noch nicht. Der englische Bankier Leigh hat mir einen Platz an seinen Fenstern angeboten, und da er am Largo del Castello wohnt, so nehme ich sein Anerbieten vielleicht an. Auf alle Fälle werde ich morgen abendoder spätestens übermorgen früh nach Caserta kommen und das Nähere über den Vorgang mitteilen.« Ich schauderte bei dem Gedanken an diese Einzelheiten, die mir Sir William so ruhig versprach. Da er durchaus nicht wußte, was in der vorhergehenden Nacht geschehen war, so konnte er meine Aufregung nicht begreifen; da er mich aber überhaupt niemals fragte, so richtete er auch jetzt keine Frage an mich. Zur bestimmten Stunde war ich bei der Königin, nur hatte ich dem Kutscher befohlen, durch Chiatamone und Santa-Lucia zu fahren, weil ich die Nähe des Largo del Castello meiden wollte. Dennoch mußten wir nach Caserta durch die Toledostraße fahren. Wir saßen aber in einem geschlossenen Wagen und ich zog die Vorhänge zu. Da wir einen Wagen ohne Wappen und in Livreen gekleidete Diener hatten, so konnten wir durch die Menge, die fortwährend auf der Toledostraße hin- und herwogte, fahren, ohne Neugierde zu erregen. Ich fühlte mich doch erst wieder ruhig, als ich, nachdem wir uns außerhalb der Stadt befanden, das Fenster herunterlassen und die Luft der Felder atmen konnte. Ich hatte nicht nötig gehabt, die Königin zu fragen, ob jemand bei ihr gewesen, und ob sie Gnade hätte gewähren oder verweigern müssen. Wir kamen ungefähr halb acht Uhr in Caserta an. Als wir das massive und schwere Gebäude betraten, war es mir, als
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