TITLE
ob wir in ein Grab stiegen.
Man wird sich vorstellen können, welchen traurigen Abend wir verbrachten. Wir wurden beide, die Königin sowohl als ich, von einem und demselben Gedanken gepeinigt. Wir konnten an nichts anderes denken, und dennoch wollte keine von uns von der Sache sprechen, die uns so hartnäckig beschäftigte. Was mich betraf, so schwebten mir fortwährend jene drei jungen Männer und besonders der, welcher die Hauptrolle in dieser Tragödie spielte, vor Augen. Sein braunlockiges Haupt, seine beredten Augen, seine vibrierende Stimme, seine feierlichen Gebärden, alles trat mir so lebhaft vor die Seele, daß ich, wäre ich allein gewesen, dem Wunsche nicht hätte widerstehen können, einen Bleistift zu nehmen und die ganze Szene zu skizzieren. Die Königin hatte ein Buch genommen und tat, als ob sie lese, da sie jedoch die Blätter umzuwenden vergaß, so konnte man leicht sehen, daß sie nicht las.
Gegen zwei Uhr brachte man uns einen Imbiß, wir tranken jedoch nur eine Tasse Tee. Zu wiederholten Malen versuchte sowohl die Königin als ich, einige der gleichgültigen Phrasen zu erwähnen, auf denen in Ermanglung großer Gedanken die gewöhnlichen Unterhaltungenberuhen, jede dieser Phrasen aber glich einem Stein, der in einen Schlund fällt und ohne Echo darin versinkt. Die Pendule auf dem Kamin war von Meißener Porzellan. Sie stellte die mit einer Sense bewaffnete Zeit dar. Nie habe ich eine frappantere und düstrere Allegorie gesehen. Nach und nach schlug die Uhr die zehnte, die elfte und die zwölfte Stunde. Mit dem letzten vibrierenden Klange der Glocke traten wir in den 4. Oktober ein; es war der Tag der Hinrichtung.
Die Königin erhob sich, ging nach dem Kamin, nahm die Glasglocke der Uhr in die Höhe und hielt den Perpendikel an. Sie sorgte dafür, daß die Uhr die vierte Stunde nicht schlüge, denn um vier Uhr sollte sie nicht mehr die Zeit messen, sondern die Ewigkeit anzeigen. Die Hinrichtung der drei jungen Männer sollte um vier Uhr stattfinden. Ich wußte es nicht, die Königin aber wußte es, und wir waren beide so sehr mit einem und demselben Gedanken beschäftigt, daß, als sie den Pendel der Uhr anhielt, ein Schauer meinen ganzen Körper durchrieselte, denn ich verstand ihre Absicht.
71. Kapitel.
Ich weiß nicht, wie die Königin schlief, ich aber hatte schreckliche Träume. Gegen Morgen erst verschwanden die Visionen, die mein Gehirn beunruhigten, und ich konnte einige Ruhe genießen. Das erste, was ich sah, als ich erwachte, war die Königin, die an meinem Fenster stand. Sie hauchte an die Fensterscheiben und hatte auf den Hauch ihres Atems mit dem Finger eine Art Grabhügel und auf diesem drei Kreuze gemalt. Als sie hörte, wie ich mich auf meinem Bette erhob, nahm sie schnell ihr Taschentuch und wischte die Scheibe ab.
»Wie langweilig!« sagte sie; »ich war zeitig aufgestanden, da ich hoffte, wir könnten einen Spaziergang machen, und nun fällt ein feiner Regen, der uns vielleicht den ganzen Tag am Ausgehen verhindern wird.«
»Haben Eure Majestät schon lange gewartet?« fragte ich.
»Meine Majestät sind schon eine Stunde da, weil meine Majestät sehr schlecht geschlafen haben. Schnell erhebe dich, wir wollen uns zu zerstreuen suchen.« Ich erhob mich. »Ah!« sagte die Königin, indem sie mich betrachtete, »so habe ich denn einmal die Befriedigung, dich weniger außerordentlich schön als gewöhnlich zufinden! Du bist heute bleich und hast rote Augen, das will ich dir nur sagen, meine liebe Freundin.«
»Ach, Madame,« erwiderte ich, »ich fürchte sehr, heute abend noch bleicher auszusehen und noch rötere Augen zu haben, als jetzt.« Sie tat, als ob sie mich nicht gehört hätte, sondern fragte: »Hast du denn nicht Sir William eingeladen, mit uns nach Caserta zu kommen?«
»Jawohl, Madame; er wird aber durch Geschäfte in Neapel zurückgehalten und wird daher erst heute abend oder morgen früh kommen.«
»Ah, um so besser!« sagte die Königin mit sichtbarer Anstrengung. »So kann er uns nähere Nachrichten mitteilen.« Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß das Gespräch zwischen uns hiermit beendet war. Karoline begab sich in ihr Zimmer. Ich kleidete mich an.
Gegen zwei Uhr hörte der Regen auf. Man sollte beim ersten Sonnenstrahl, der durch die Wolken blicken würde, den Wagen anspannen. Man benachrichtigte uns, daß es geschehen sei. Wir gingen hinunter und machten eine Promenade im Park. In dem Maße, wie die Zeit vorrückte, bemächtigte sich auch eine
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