TITLE
Näheres über den unglücklichen Thomas Campbell mitzuteilen und mir ganz besonders zu sagen, aus welcher Provinz er stamme. Hardy wußte nichts Näheres über den Verurteilten, er ließ jedoch das Protokoll der Verurteilung holen, und ich ersah daraus, daß der Matrose aus der kleinen Stadt Hawarden gebürtig war. Ich zweifelte nun nicht mehr, daß er der Bruder der armen Fanny Campbell sei, und bat Hardy, mich zu dem Gefangenen zu führen, ohne jedoch jemanden davon etwas zu sagen.
Hardy weigerte sich einige Augenblicke lang, aber ich drang so sehr in ihn, daß er endlich nachgab. Er führte mich sodann die Treppen und die Matrosenleitern hinab, bis in den untersten Raum, wo der arme Teufel in Ketten lag. Man kann sich denken, wie er erstaunte, als er mich erblickte. Alle Matrosen kannten mich und ebenso war auch sicherlich allen mein vertrautes Verhältnis zu Nelson bekannt. Mein Erscheinen war daher für diesen Unglücklichendas, was ein in die ewige Nacht der Verdammten fallender Sonnenstrahl ist oder vielmehr sein würde. Anfangs schien er in seiner Betäubung meine Fragen nicht zu begreifen und zögerte mit der Antwort. Ich fragte ihn, ob er wirklich aus Hawarden sei. Er antwortete ja. Ich fragte weiter, ob er eine Schwester habe und seine Antwort war abermals bejahend. Ich sagte ihm nun, daß ich seine Schwester gekannt. Er schüttelte den Kopf. »Ich versichere Euch aber, daß ich sie gekannt,« hob ich wieder an. – »Wie?« entgegnete er, »eine vornehme Dame wie Sie hätte ein armes Mädchen wie die Tochter des Marinesergeanten John Campbell gekannt?« – »Ich habe sie so gut gekannt, daß ich jetzt noch ihren Namen weiß. Sie hieß Fanny,« sagte ich. – Er stutzte. – »Das ist allerdings wahr,« sagte er.
Dann sammelte er sich und fuhr fort: »Da Sie meine Schwester gekannt haben und da Ihr Besuch beweist, daß Sie an einem armen Verurteilten einiges Interesse nehmen, so werde ich eine Bitte an Sie richten.« – »Ja, tut das, mein Freund.« – »Meine Schwester hat den Pfarrer eines kleinen Dorfes geheiratet, welches zwischen Hawarden und Northorp liegt.« – »Heißt der Ort vielleicht Youlaw?« – »Ganz recht!« rief Thomas; »wie können Sie das wissen?« – »Nun, das kann Euch gleich sein. Ihr sehet, daß ich es weiß.« – »Wohlan, Madame, vergessen Sie mich nicht und wenn ich tot sein werde, so schreiben Sie an meine Schwester – ich selbst kann nicht schreiben – schreiben Sie meiner Schwester, ich sei tot, aber sagen Sie ihr nicht, daß ich gehängt worden bin. Bitten Sie sie, für mich zu beten, und da sie ein frommes Mädchen ist, so wird sie nicht verfehlen, es zu tun.«
»Ist dies alles, was Ihr wünscht, mein Freund?« fragte ich.
– »Ach, mein Gott, ja, Madame. Ich bin mit Recht zum Tode verurteilt. Ich habe mich gegen meinen Vorgesetzten vergangen. Dennoch aber war dies nicht allein meine Schuld –«
»Wessen Schuld war es denn aber, wenn es nicht die Eurige war?« – »Der verteufelte Wein des Vesuvs war daran schuld. Ich hatte ihn getrunken, als ob ich Bier tränke, ohne zu bedenken, daß er im Feuer gewachsen war. Meine Gedanken hatten sich verwirrt, ich erkannte meinen Vorgesetzten nicht, meine Augen sahen nicht mehr, und auf diese Weise beging ich das Verbrechen. – Ich hoffe aber, daß der gute Gott einen Blick auf das Logbuch werfen und sehen wird, daß ich in den zehn Jahren, welche, ich auf der königlichen Flotte diene, nicht mehr als drei Bestrafungen erlittenhabe. Freilich wird die dritte eine sehr nachdrückliche sein, und jede fernere unmöglich machen.«
»Mein lieber Hardy,« sagte ich, indem ich mich nach dem Flaggenkapitän herumdrehte, »ich weiß nun alles, was ich wissen wollte. Lassen wir diesen armen jungen Mann mit seinen Gewissensbissen wieder allein.« Dann setzte ich leise hinzu: »Die hoffentlich seine ganze Strafe sein werden.« Hardy sah mich an und schüttelte den Kopf. Ich ging wieder aufs Deck hinauf und suchte Nelson.
»Mein lieber Horatio,« sagte ich zu ihm, »ich muß Ihnen eine Geschichte erzählen. Als meine Mutter als Magd auf einem Pachthofe diente, erhielt sie durch ein kleines Vermächtnis, welches ihr ein früherer Dienstherr hinterlassen, die Mittel, mich in eine Pension für junge Mädchen zu bringen, wo ich in einem Jahre lesen, schreiben, ein wenig musizieren und zeichnen lernte. Nach Verlauf dieses Jahres blieb aber plötzlich das Geld aus, ich mußte die Pension verlassen, und als Kinderwärterin in die
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