TITLE
immer sagen hören, daß allzuviel Witz dem Herzen schade.« – »Ich weiß nicht, ob ich Witz habe, denn es hat mir noch niemand etwas darüber gesagt, daß ich aber ein Herz habe, dies weiß ich, denn unglücklicherweise hat dieses Herz gesprochen. Ich habe daher bis jetzt mehr meinem Herzen als meinem Witz zu mißtrauen gehabt. Erlauben Sie, daß diesmal mein Herz meinen Witz beauftrage, seine Angelegenheiten zu besorgen.« – »Ich höre, Miß Emma, ich gestehe aber, daß ich schaudere, indem ich Ihnen zuhöre.« – »Noch ist's Zeit. Machen Sie es wie Ulysses. Entweder vermeiden Sie das Vorgebirge der Circe, indem Sie Ihren Lotsen: ›Hinaus ins hohe Meer!‹ zurufen oder verstopfen Sie die Ohren mit Wachs.« – »Nein, ich will lieber Ihre Stimme hören und es auf die Gefahr, in ein Tier verwandelt zu werden, ankommen lassen. Übrigens sehen Sie, da ich Sie nach dem, was Sie mir gesagt haben, immer noch anhöre, so ist die Metamorphoseschon halb bewirkt.« – »Nicht übel! Sie sind auch ein Mann von Witz, Mylord. Ich sehe, daß wir uns verstehen werden. Jetzt lassen Sie mich ausreden.« – »Ich höre Sie.«
»Ich bin beinahe zwanzig Jahre alt. Ich bin in einem Dorfe geboren und habe die Instinkte meiner Geburt überwunden. Ich habe keine Erziehung erhalten, Intelligenz, Lektüre und ein gutes Gedächtnis haben jedoch diesem Mangel abgeholfen. Ich habe Fehltritte begangen, ich bin gefallen, aber ich habe mich wieder erhoben. Ich bin arm und elend gewesen, ich habe Hunger und Durst gelitten; ich habe kein Obdach gegen Regen, Wind und Kälte gehabt, und jetzt bin ich in Sammt gekleidet, ich wohne umgeben von Meisterwerken der Kunst und ohne reich zu sein, kann ich, wenn ich bloß tausend Franks monatlich ausgebe, auf mein ganzes noch übriges Leben gegen Mangel geschützt sein. Wenn ich dem Doktor Graham noch drei Monate Sitzungen bewilligen wollte, so würde ich Millionärin. Ich habe aber nicht gewollt. Romney gefiel mir, und ich zog es vor, mich ihm zu geben.« – »Haben Sie bloß, um mir zu sagen, daß Romney so glücklich ist, von Ihnen geliebt zu werden, mich eingeladen, Sie zu besuchen, wenn er nicht zu Hause sein würde?« – »Ja wohl, sehr richtig! Da ich mit Ihnen von ernsthaften Dingen zu sprechen habe, denn es wird davon Ihre Zukunft oder die meinige abhängen, so muß ich mich gegen Sie mit aller Freimütigkeit aussprechen.« Sir Charles stieß einen Seufzer aus. – »Wollen Sie lieber den Verstand verlieren?« fuhr ich fort. – »Ich verstehe Sie nicht.« – »Haben Sie mir nicht gesagt: Sie müssen mein werden, Emma, oder ich verliere den Verstand?« – »Ja, das ist wahr.« – »Nun, da ich nur unter gewissen Bedingungen Ihnen gehören kann, so muß ich Sie von diesen Bedingungen in Kenntnis setzen.« – »Nun, dann nennen Sie dieselben.« – »Meine Situation ist, wie ich Ihnen bereits angedeutet, folgende: Ich habe Romney ohne große Liebe genommen, aber wie man einen liebenswürdigen Mann nimmt – um nicht mehr allein im Leben zu stehen, um mich auf etwas zu stützen. Romney liebt mich und ich hänge mit großer Zuneigung an ihm. Unser Leben ist angenehm, ich habe keinen Grund, es aufzugeben, ich müßte es denn – hören Sie wohl – um einer sozialen Stellung willen tun. Ich meine damit nicht in pekuniärer, sondern eben nur in sozialer Beziehung. Lieben Sie mich wirklich hinreichend, um den Verstand zu verlieren? Wenndies der Fall, so lieben Sie mich auch hinreichend, um mich zu heiraten.«
Sir Charles Greenville hüpfte auf seinem Stuhl empor. »Sie zu heiraten?« rief er. Ich erhob mich und machte ihm eine tiefe Verbeugung. »Mylord,« sagte ich zu ihm, »wenn Sie geneigt sein werden, diesen Antrag anders als dadurch zu beantworten, daß Sie vor Überraschung auf dem Stuhle emporhüpfen, so werde ich die Ehre haben, Sie zu empfangen. Bis dahin gestatten Sie, daß ich mich der Ehre Ihrer Unterhaltung und des Vergnügens Ihrer Gegenwart beraube.« Hierauf verneigte ich mich abermals und begab mich in mein Zimmer, indem ich den Lord allein in dem Atelier zurückließ. Es vergingen drei oder vier Tage, ohne daß ich ihn wiedersah.
25. Kapitel.
Romney fuhr fort vollkommen gut und freundlich gegen mich sein. Ich befriedigte als Geliebte seine Eigenliebe und als Modell seinen Kunstsinn, denn seine ausgezeichnetsten Leistungen auf dem Gebiete der Malerei datierten aus der Zeit unseres Verhältnisses. Er war zu jener Zeit so sehr in Aufnahme, daß er, so verschwenderisch er
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