TITLE
begegnet war, die ich während der vierzehn oder fünfzehn Monate gesehen, welche ich bei Sir Johnund Sir Harry verlebt. Romney hatte seinerseits viel von mir sprechen gehört, ohne zu ahnen, daß die Rede von mir sei. Mein Auftreten als Ophelia und Julia hatte in der künstlerischen Welt Aufsehen gemacht und er hatte auch gewünscht, mich zusehen. Sein ganz der Kunst und den Vergnügungen gewidmetes Leben hatte ihn jedoch nach andern Richtungen hingelockt, und waren wir uns auf diese Weise nicht begegnet.
»Jetzt,« sagte Romney zu mir, »sind Sie zu reich, als daß ich mich erböte, Ihnen jede Sitzung mit fünf Guineen zu bezahlen, und Sie sind an der Reihe mir Almosen zu spenden. Sind Sie in bezug auf Ihr Herz und Ihre Person noch frei?«
– »Ja, frei wie die Luft!«
– »Und der Doktor Graham?«
– »Dieser ist mein Impresario, weiter nichts. Ich stehe jedoch in einem Ehrenkontrakt mit ihm. Er hat mich dem Mangel und was noch schlimmer ist als dieser, der Schande entrissen und ich habe ihn dafür reich gemacht.«
– »Wohlan,« sagte Romney, »es kann sich alles arrangieren. Sie werden Graham reich und mich berühmt machen. Später werden Sie in Ihren weichherzigen Augenblicken überlegen, ob Sie nicht gleichzeitig mein Glück machen können. Es würde dann wenig Existenzen geben, welche besser angewendet wären, wie die Ihrige.« Wir verabredeten, daß ich schon den nächstfolgenden Tag auf eine Stunde nach Cavendish Square in Romneys Atelier gehen und dieser eine Reihe Studien nach mir beginnen sollte. Wir verließen einander als zwei zärtliche Freunde, die nur noch einen Schritt zu tun haben, um ein Liebespaar zu werden. Es war lange her, daß mein armes Herz seine Beschäftigung gehabt hatte. Ich hatte für Romney stets große Sympathie gehegt, und ich war, wie ich ihm gesagt, von allen Verbindlichkeiten frei.
Obschon er beinahe fünfundvierzig Jahre alt war, so besaß er doch die dreifache Jugend der Kraft, der Eleganz und des Rufes.
Mehr konnte selbst eine Dame, die größere Ansprüche als ich hätte machen können, nicht wünschen. Ich konnte einen Augenblick glauben, daß ich Romney liebte, oder vielmehr ihn lieben würde.
Am nächstfolgenden Tag ging ich zu der verabredeten Stunde zu ihm. Er erwartete mich mit allen jenen kleinen Vorbereitungen, die man trifft, wenn man eine ersehnte Dame erwartet. Das Zimmer war mit Blumen und weichen Teppichen geschmückt. Ein prachtvolles Tigerfell war in eine Estrade gearbeitet, welche derglich, die ich bei dem Doktor Graham einnahm. Ein Kranz von Weinlaub erwartete augenscheinlich eine Erigone. Von dem Augenblicke an, wo ich bei Romney war, von dem Augenblicke an, wo ich nicht bloß freiwillig, sondern auf einen von mir selbst ausgesprochenen Wunsch hierherkam, wäre es lächerlich von mir gewesen, ihm etwas von dem, was er von mir erwartete, zu verweigern. Gleich am ersten Tage und innerhalb zwei Stunden entwarf er eine prachtvolle Skizze. Wir haben in England wenig Maler, beinahe alle aber, die wir haben, verstehen sich trefflich auf das Kolorit und Romney nimmt unter diesen den ersten Rang ein. Als ich wieder nach Hause kam, fand ich den armen Doktor Graham ein wenig unruhig. Seitdem er mich aus dem Hause in Haymarket mit in das seine genommen, war es das erstemal gewesen, daß ich letzteres verlassen. Ich beruhigte ihn über das, was ihn vor allen Dingen interessierte, das heißt über die Gewißheit, die ich ihm gab, daß ich mein verpfändetes Wort halten würde. Ich sagte ihm, was er schon wußte, weil Romney es ihm schon vor mir gesagt, nämlich, daß ich den berühmten Künstler seit langer Zeit kannte. Auch verschwieg ich ihm nicht die Herzensverbindlichkeiten, welche ich soeben mit ihm eingegangen war.
So verlebte ich drei Monate und schenkte dem Doktor Graham einen Monat mehr, als er von mir verlangte. Während dieser drei Monate machte Romney eine ganze Reihe Studien nach mir. Er beendigte die angefangene Erigone und fertigte eine Venus, eine Kalypso, eine Helena, eine Judith und eine Rebekka. Gegen die Mitte des vierten Monats verkündete der Doktor das Ende seiner Vorlesungen. Er hatte beinahe hunderttausend Pfund Sterling verdient. Die letzten Sitzungen waren auf so wahnsinnige Weise besucht, daß die Zuhörer einander fast erdrückten. Ich selbst hatte auf diese Weise acht- bis zehntausend Pfund Sterling erworben. Graham bot mir die Hälfte der Einnahme, wenn ich ihm auch noch ferner meine Mitwirkung leihen wollte. Ich weigerte mich.
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