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Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titel: Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Altaras
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Regisseur. Ich kann mir nicht die Haare rasieren lassen, wie damals. Ich kann nicht Monate lang wie ein Häftling herumlaufen, bis die Haare nachwachsen. Es soll eine Komödie werden, aber ich würde über die Tragödie nicht hinwegkommen. Ich weiß, ich sollte. Ein guter, professioneller Schauspieler müsste das können, abstrahieren von der Rolle. Ich kann es nicht, nicht in diesem besonderen Fall. Dann erfahre ich, dass die Hauptdarstellerin in der Rolle der Eva Braun eine schicke Perücke bekommt. Warum bekommt sie, die Arierin, eine Perücke, wird fein gemacht und als Herrenmensch ausstaffiert? Ich kann und will nicht mehr der Untermensch sein. Entweder ich bekomme auch eine Perücke oder Eva Braun werden die Haare abrasiert! Ich will die Perücke von Eva Braun! Soll doch Eva Braun glatzköpfig herumspazieren. Das nenne ich Wiedergutmachung!
    Glücklicherweise behielt der Regisseur die Nerven, wir einigten uns auf eine 3,5-cm-Rasur.
    »Ich finde, du hast die Rolle damals sehr gut gespielt, auch ohne Glatze«, sagte meine Agentin, »Sie wollen nur dich. Auch wenn du nur einen Satz zu sprechen hast.«
    »Einen Satz?«, wiederholte ich ungläubig. »Das wird ja immer besser! Für einen Drehtag und einen Satz um die halbe Welt fliegen? Schönen Gruß, ich bin verhindert.«
    »Aber sie zahlen gut.« Meine Agentin blieb eisern.
    »So gut kann niemand zahlen, damit ich für 24 Stunden nach Südafrika fliege.«
    Drei Wochen und 100 Telefonate später lag mein Flugticket zur Abholung bereit. »Einsatz in Südafrika!«, frotzelte meine Familie. In Kapstadt angekommen, brauchte man mich noch nicht. Ich wurde im feudalsten Hotel der Stadt untergebracht, mit Flamingos im Garten und kolonialschwarzer Bedienung rund um die Uhr. Kurz meldete sich ein Hauch schlechten Gewissens, Reste meines Arbeitsethos’ – aber nur sehr kurz. Man finanzierte mir, ohne dass ich einen Handschlag getan hätte, einen vollgültigen Südafrikaurlaub. Und all das, nur weil ich Jüdin war?
    Ich konnte meinen Text, diesen einen Satz: »Und Sie, was haben Sie während des Krieges gemacht?« Ich übte mal diese, mal jene Betonung. War gut vorbereitet, ich hatte meine Rolle verstanden. Ich hatte ja auch noch fünf Tage Zeit zum Üben. Mein Honorar setzte ich inzwischen sinnvoll ein und gönnte mir eine Safari. Was ist schon ein Film gegen den Aufmarsch der Giganten. Die Tiere waren imposant und für ein paar Tage vergaß ich vollkommen den eigentlichen Zweck meiner Reise.
    Endlich war der letzte Drehtag da – der gleichzeitig mein erster sein sollte. Mein Partner, der Filmehemann, war mittlerweile auch angekommen. Wir hatten gemeinsame Kostümprobe. Als wir aus der Garderobe traten, sahen wir unseren Vorbildern aus Ulm zum Verwechseln ähnlich, jüdische Emigranten 1949 in L. A. Wir sahen klein und verloren aus, passten unglaublich gut zusammen und wirkten sehr jüdisch. Wir waren irritiert. Alle behandelten uns betont höflich – als hätten sie etwas wiedergutzumachen. Wir drehten in einem kleinen Häuschen inmitten eines schwarzen, muslimischenViertels. Statisten in orthodox-jüdischer Ausstattung liefen auf der Straße umher. Die Nachbarn starrten aus den Fenstern auf uns herab. Die Szene spielte am Sabbat, elektrische Geräte und alle Arten von Maschinen waren verboten, unser Film-Wohnzimmer war dunkel und schummrig, einzig von Kerzen erleuchtet.
    Dann wurde gedreht. Es ging sehr schnell.
    »Unser Sohn« kommt. Wir begrüßen ihn. Dann begrüßen wir stumm seine deutsche Frau. Es kommt zu einem sehr kurzen Streit, an dessen Ende der Sohn mitsamt seiner schönen deutschen Frau aus dem Haus fliegt, ihre Koffer fliegen hinterher.
    Mir kam es vor, als spielten wir gar nicht, mein Film-Mann und ich. Als würden wir nur kurz etwas wiederholen, was wir schon einmal getan hatten. Vor langer Zeit. Alles ging sehr schnell. Es war kaum Mitternacht, da waren wir »abgedreht« und das Abschlussfest konnte steigen. Das war er: Mein Satz in Südafrika. Ich war verwirrt. Hätte ich nicht vor wenigen Tagen zumindest die Giraffen und Elefanten gesehen, alles wäre mir unwirklich vorgekommen.
    Ein halbes Jahr später rief mich der Regisseur an. Der Film war schon überall plakatiert, sollte auf der Berlinale voraufgeführt werden. Die Szene sei aus dem Film herausgeschnitten worden. Vorauseilend fiel ich ihm ins Wort, wollte ihm und mir die Peinlichkeit der Wahrheit ersparen, dass ich schlecht gespielt hatte:
    »Das macht doch nichts, ist doch ganz normal. Ein

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