Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
doch sehr profan vor bei einem solch existenziellen Fest. Sie brauchen es einem ja nicht in das Strumpfband zu stecken, den Ausschnitt oder das Höschen. Das denke, sage ich aber nicht, denn weitere zwanzig Personen haben zugesagt, und ich beginne mir Gedanken über das Ausmaß des Festes zu machen.
Wir müssten einen Durchbruch zur Nachbarwohnung machen lassen oder – und das tun wir – einen größeren Veranstaltungsort suchen. Einen Ort, der nicht nur schön ist, sondern gleichzeitig nicht zu teuer, der zu Erwachsenen wie zu pubertierenden Jugendlichen gleichermaßen passt. Wo man orientalisch tanzen, gut essen und vielleicht sogar miteinander plaudern kann. Altersdurchschnitt 8 – 88 Jahre. Kein Problem.
Wir besichtigen alle in Berlin zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten, im Wasser, auf Parkdecks, in Museen oder Zoos … Schließlich finden wir eine wunderschöne Villa am Wannsee, die alldem entspricht. Es ist glücklicherweise nicht die Villa der Wannsee-Konferenz, aber wir haben Blick auf sie. Zwei Häuser weiter wohnen Brad Pitt und Angelina Jolie, »die kann ich doch auch noch einladen …«, werfe ich ein. Keiner reagiert.
Alle meine Verwandten sagen zu. Aus Miami Klara und ihr Mann Mike, aus New York Deborah, aus Split mein Lieblingscousin Ben nebst Frau und Tochter Sanja plus Mann, aus Tel Aviv die Cousine Nili mit Mann und Tochter. Tja, was habe ich denn erwartet. Wenn man einlädt, muss man sich nicht wundern, wenn die Leute auch kommen. Gerührt und glücklich gerate ich in Panik. Sollten meine Verwandten wirklich alle kommen, wird das Essen nie und nimmer reichen … Täglich rufe ich den Caterer aus Potsdam an, bitte ihn, dasEssen noch einmal aufzustocken. Gott sei Dank reagiert er nur bedingt, sonst könnte der gesamte Bundestag mitessen. Allerdings habe ich Mühe, ihn davon abzuhalten, koscher zu kochen. Er hat sich schlau gemacht, Rezepte aus dem Stetl besorgt. Ich habe ihn ausgesucht, weil er gut und nicht koscher kocht. In den grellsten Farben male ich ihm die Konsequenzen aus: Das doppelte Geschirr, die zwei Kühlschränke, die er bräuchte, die Preise des Schächters … All das bringt ihn glücklicherweise bald von seinem Vorhaben ab, das Thema ist vom Tisch.
Die nichtjüdische Verwandtschaft meines Mannes will vollzählig anreisen: Alle haben sie zugesagt – und als gute Arier haben sie eine zahlreiche Nachkommenschaft. Immer wieder stelle ich mir vor, wie – als Höhepunkt des Abends – die erste Begegnung zwischen Georgs schon leicht dementer Mutter und meiner Familie, speziell meiner Tante, vor sich gehen wird. Ungebremst wird »Oma Maria« von der schönen Zeit als BDM -Mädchen berichten und wie sie für 500 »Jungs« Gulasch an der Westfront gekocht hat … Gut, dass meine Tante inzwischen derart schlecht hört und all die anderen Verwandten kein Wort Deutsch sprechen. Es wird schon gut gehen … Im Notfall muss die Band lauter spielen, sehr viel lauter. Wenn nur das Essen reicht!
Inzwischen sind wir bei 150 Zusagen angekommen. Wir haben 100 Sitzplätze. Wir werden alle zwei Stunden »Reise nach Jerusalem« spielen, das Sitzplatzproblem wird sich dabei einfach und spielerisch lösen. Egal, was soll’s? Einmal im Leben eine Bar-Mizwa, ein richtig großes Fest. Ich schnappe mir das Sparbuch und hebe den Rest ab. Nichts ist peinlicher als zu wenig Essen. David bekommt einen Anzug, Hemd, Krawatte, neue Lederschuhe. Als er aus der Umkleidekabine kommt, sieht er nicht mehr aus wie mein kleiner Junge: Der Initiationsritus zum Mann hat schon hier stattgefunden.Darüber haben wir die Kippot vergessen. Man muss sie zwei Monate im Voraus in Israel bestellen, damit sie sicher durch den Zoll und die Kontrollen kommen und nicht exemplarisch als Paketbombe in die Luft gejagt werden. Es sind die Hohen Feiertage. Bei welcher Firma auch immer ich in Israel anrufe, überall höre ich ein Band, das mir in drei Sprachen »Gute Feiertage«, »Happy Holidays«, »Chag Sameach«, »Shana Tova« wünscht. Bestellen unmöglich.
Die Stimmung im Haus wird immer angespannter. Ich drohe David, ihn taufen zu lassen, wenn er nicht sofort von seinem hohen Ross heruntersteigt und aktiv mithilft – bei was genau, bleibt unklar. Bei allem, irgendwie. Einfach mithelfen, sich kümmern. Nicht abwarten, bis das Essen nicht reicht … Ich erwarte von ihm, dass er sich genauso Sorgen macht wie ich. »Mizwa heißt: gute Tat. Wo bitte schön sind deine guten Taten? Wo???«, brülle ich ihm hinterher!
Als
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