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Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titel: Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
Autoren: Adriana Altaras
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Koscher-Lizenzen gegen Bezahlung verteilt und Prozente genommen – allerdings ist dies nicht der erste »Koscher-Mafia-Skandal« in Berlin. Ihm wurde mit einem gerichtlichen Prozess gedroht. Zwischenzeitlich hatte die Suche nach einem neuen Rabbiner begonnen und hielt die Gemeinde in Atem. Schon bald war der Vorstand über diese Personalfrage total zerstritten. Man legte uns nahe, uns einen eigenen Rabbiner zu suchen, wollten wir an der Bar-Mizwa festhalten. Die Personalfrage wäre bis zum errechneten Termin wahrscheinlich noch nicht abschließend geklärt, gab die Kultusabteilung zögerlich zu. Mir dämmerte, dass diese Bar-Mizwa keine leichte Sache werden würde …
    Die Leiterin der Gemeindekultusabteilung, eine kleine, freundliche Russin, gab mir unterdessen wichtige Ratschläge: »Hören Sie: die Einladung! Vorne auf dem Blatt steht groß der Name des Bar-Mizwa-Jungen, dann der Ort, die Zeit, natürlich klar, und hinten das Ganze noch einmal auf Hebräisch.«
    »Gut, danke!«, sagte ich.
    »Die Gemeinschaft der Betenden wird nach dem Gottesdienst in den Kiddusch-Saal der Synagoge gebeten. Das Essen muss koscher sein. Aber nicht überteuert. Es gibt ein gemeindenahes Catering.«
    Gemeindenah, verstehe. »Ja, das klingt gut«, sagte ich.
    »Das Fest am Abend ist freiwillig, kein Muss, aber schön ist es schon …«
    Natürlich, schön ist es schon.
    Ich versuche schon seit geraumer Zeit, David davon zu überzeugen, zu Hause zu feiern. David weigert sich kategorisch: »Das ist doch peinlich, so intim!«
    Mein Computer wiederum weigert sich, Hebräisch zu übersetzen und zu schreiben. David sagt:
    »Wir müssen es unbedingt von einem Übersetzer machen lassen, Computerprogramme übersetzen schlecht. Was meinst du, wie das klingt: »Wir ladet ein zu allgemeine Bar-Mizwa. Dürfen kommen alle die Freunde und die Verwandtschaft … Ist doch peinlich.« Schon wieder peinlich, alles peinlich: die Wohnung, mein Computer, mir reicht’s. Jetzt schon! Ich knalle die nächste Tür, zwei Tage passiert nichts, wir schweigen uns biblisch an.
    Nach knapp einer Woche liegt die Einladung fertig gedruckt, in fehlerfreiem Deutsch und Hebräisch in 120-facher Kopie auf dem Küchentisch. Mein Mann hat sich darum gekümmert, stillschweigend und gewissenhaft.
    »So ist das meistens bei uns, du machst die Welle, ich erledige die Dinge«, sagt er nur.
    »Danke«, erwidere ich pampig.
    Daneben liegt die Gästeliste in der nunmehr zwölften Fassung. Sie enthält augenblicklich 124 Namen: die Reihe der nächsten Verwandten, enge Freunde, Leute, die an Davids Erziehung und seinem Werdegang maßgeblich beteiligt waren.Gelegentlich kommen neue dazu, andere werden gestrichen. David geht die Liste durch, streicht rigoros Namen:
    »Wieso der Frauenarzt?«
    »Ohne den gäb’s dich nicht! Er hat dich rausgeholt!«
    »Aber ich habe ihn dabei nicht mal gesehen!«
    »Natürlich, nur warst du noch sehr klein …«
    »Wird gestrichen!«
    »Aber hier, die müssen kommen!«
    »Das sind deine Freunde aus dem Theater, nicht meine. Ist das deine oder meine Bar-Mizwa?«
    Wir feilschen um jeden Namen, schließlich kommt es zur unvermeidlichen Schreierei: Diesmal knallt David die Tür. Wir landen letztlich bei einhundert Personen.
    Einige werden von selbst absagen, es wird nicht zu groß, überschaubar. Wir sind zufrieden.
    Zwar haben wir noch keinen Festsaal, aber ich beginne mit dem Eintüten der Einladungen, die Adresse werden wir eben nachreichen. Sammy klebt die Umschläge zu, David pappt die Briefmarken drauf.
    Wie es genau passiert ist, kann ich nicht mehr sagen. Aber plötzlich haben wir drei Absagen und 144 Zusagen. Wie haben all die Leute davon erfahren? Mal abgesehen von denen, die eine Einladung bekommen haben. Nun gut, ich rede – statt zu planen – seit geraumer Zeit von nichts anderem mehr. Die Schauspieler der aktuellen Produktion wollen nach der Vorstellung »kurz eben vorbeikommen«, eine Freundin hat einen italienischen Freund zu Gast (– der müsse mit!), jede Familie mit Kindern fragt, ob das Au-pair-Mädchen mitkommen darf (und deren Freundin), fast alle nichtjüdischen Freunde und Bekannten haben zugesagt – schließlich sei es »ihre erste Bar-Mizwa«. Davids vier Schulklassen, die er durchlaufen hat, wollen geschlossen erscheinen …
    Außerdem wird die Frage nach dem Geschenk laut: Jüdischerseits ist klar, dass Geld ein sehr praktisches Geschenk ist, man braucht es einfach nicht umzutauschen. Das kommt den Nichtjuden dann
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