Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)
waren von einem tiefen, unbewegten Grün, das an einen Tümpel im Wald erinnerte, der sich hinter den herabhängenden Blättern eines Baumes verbarg und darum niemals der Sonne oder dem Wind ausgesetzt war. Sein dunkles Haar fiel ihm so fein und glatt wie Seide in die Stirn und seine langen Finger umschlossen – nein, eher: krallten sich in – die Armlehnen des Stuhls. Diese verzweifelte Umklammerung verrieten mehr über die offensichtlichen Schmerzen des Jungen als tausend Worte.
Magnus hatte schon einige solcher Portraits gesehen. Es waren die letzten Bilder der Verlorenen. Selbst nach so vielen Jahren konnte er darauf erkennen, wie viel Kraft es den Jungen gekostet haben musste, dem Maler Modell zu sitzen, nur damit seine Hinterbliebenen etwas hatten, das sie trösten würde, wenn er nicht mehr war.
In seinem bleichen Gesicht lag der abwesende Ausdruck von jemandem, der auf dem Weg zum Tod schon zu weit vorangeschritten war, um noch einmal zurückzukehren. Magnus dachte an James Herondale, den die glühende Liebe, das lodernde Feuer in seinem Inneren zu verzehren drohte – der Junge in dem Gemälde dagegen hatte den Liebreiz eines sterbenden Poeten; seine Schönheit war so fragil wie die einer Kerze kurz vor dem Erlöschen.
Die zerrissene Tapete, die früher vermutlich einmal grün gewesen war, inzwischen aber den graugrünen Ton verschmutzten Meerwassers angenommen hatte, war mit unzähligen Wörtern vollgeschrieben worden, die den exakt selben Braunton hatten wie die Flecken auf Tatianas Kleid. Magnus konnte nicht länger so tun, als wüsste er nicht, woher diese Farbe stammte: Es war getrocknetes Blut, das bereits vor Jahren vergossen, aber niemals abgewaschen worden war.
Die Tapete hing in Fetzen von den Wänden. Magnus konnte auf den verbleibenden Stücken nur einzelne Wörter ausmachen: GNADE, REUE, HÖLLE.
Der letzte Satz war allerdings noch vollständig lesbar. MÖGE GOTT ERBARMEN MIT UNSEREN SEELEN HABEN. Darunter stand ein weiterer Satz, der jedoch nicht mit Blut geschrieben und vermutlich nachträglich von jemand anderem in die Wand geritzt worden war: GOTT KENNT KEIN ERBARMEN UND ICH AUCH NICHT.
Tatiana ließ sich in einem Sessel nieder, dessen Polster abgewetzt und ganz fleckig waren, und Grace kniete sich in einer anmutigen, grazilen Bewegung neben ihrer Adoptivmutter auf den schmutzigen Boden, wobei sich ihre Röcke um sie herum aufbauschten wie Blütenblätter. Magnus nahm an, dass sie sich das so angewöhnt hatte, um sich auch aus dem größten Schmutz nach außen hin strahlend rein zu erheben.
»Kommen wir also zum Geschäft, Madame«, sagte Magnus und fügte im Stillen hinzu: Damit ich dieses Haus so schnell wie möglich wieder verlassen kann. »Erzählen Sie mir doch bitte, weshalb Sie meiner sagenhaften und unübertroffenen Fähigkeiten bedürfen und was ich für Sie tun kann.«
»Ich gehe davon aus, dass Ihnen bereits aufgefallen ist«, antwortete Tatiana, »dass meine Grace keinerlei Zauber nötig hat, um ihre natürlichen Reize zu erhöhen.«
Magnus warf einen Blick auf Grace, die auf ihre Hände hinabsah, die sie in ihrem Schoß verschränkt hielt. Vielleicht hatte sie bereits mit dem einen oder anderen Zauber nachgeholfen. Vielleicht war sie aber auch einfach nur wunderschön. Magie oder Natur – für Magnus gab es da keinen großen Unterschied.
»Ich bin mir sicher, dass sie auch aus eigener Kraft zu verzaubern weiß.«
Grace antwortete nicht, sondern warf ihm bloß unter ihren Wimpern hervor einen sittsamen und doch vernichtenden Blick zu.
»Ich will etwas anderes von Ihnen, Hexenmeister. Ich will«, sagte Tatiana langsam und deutlich, »dass Sie fünf Schattenjäger für mich töten. Ich werde Ihnen erklären, wie Sie dabei vorgehen müssen, und Sie natürlich äußerst großzügig entlohnen.«
Magnus war so verblüfft, dass er ernsthaft glaubte, er hätte sich verhört. »Schattenjäger?«, wiederholte er. »Töten?«
»Ist meine Bitte so außergewöhnlich? Ich habe für Schattenjäger nichts übrig.«
»Aber Gnädigste, Sie sind doch selbst eine Schattenjägerin.«
Tatiana Blackthorn faltete die Hände in ihrem Schoß. »Das bin ich nicht.«
Magnus starrte sie eine ganze Weile schweigend an. »Ah ja«, erwiderte er schließlich. »Ich bitte um Verzeihung. Äh, dürfte ich wohl fragen, wofür Sie sich dann halten? Einen Lampenschirm vielleicht?«
»Ich finde Ihren Humor nicht sehr amüsant.«
Magnus fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Ich bitte erneut um
Weitere Kostenlose Bücher