Tochter der Hoffnung (German Edition)
ansonsten niemand bekannt vor. Manchmal schnappte sie Informationen aus Gesprächsfetzen auf. Anscheinend waren diese Menschen Rebellen, die auf dem Weg zu einem großen Treffen waren. Man behandelte sie zwar so, als ob sie tatsächlich ihr Gedächtnis verloren hatte, doch man benahm sich in ihrer Gegenwart auch immer etwas zurückhaltender. Außerdem waren die Bäder im eiskalten Fluss schon gewöhnungsbedürftig, doch dass sie in den Wald gehen musste, um ihre Notdurft zu verrichten und immer eine der Frauen in diesem Moment zufälligerweise auch gehen musste, war ihr schon ganz schön unangenehm. Sie hatte jedoch keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Niemand hatte ihr einen Tipp gegeben, worin ihre Aufgabe nun eigentlich genau bestand. Sie konnte wohl schlecht zu diesem riesigen Krieger Liamh gehen und sagen :“Hey du, ich heiße übrigens nicht Deidrè, sondern Ailish und komme aus einer anderen Welt. Anscheinend soll ich zaubern können und ich soll irgendeine Aufgabe erfüllen, das hat mir vor kurzem meine tote Großmutter erzählt.“
Obwohl der Gesichtsausdruck des Kriegers bestimmt sehenswert gewesen wäre, schloss sie diese Möglichkeit lieber aus. Immer mal wieder schnappte sie auch Gesprächsfetzen auf, in denen die Rede von IHM war. Anscheinend war ER die Ausgeburt des Bösen zu sein. Immer wieder musterte sie mit Vorsicht die Waffen der Männer. Schwerter kannte sie nun einmal nur aus Filmen und ihr lief schon alleine bei dem Gedanken, dass damit andere Menschen getötet wurden, ein eisiger Schauer über den Rücken. Auch musste Ailish sich erst einmal von dem Schock des beinahe Todes erholen. Sie konnte sich an jede Sekunde so genau erinnern, als wäre es gerade eben erst geschehen. Als sie die Augen aufmachte und den Dolch über sich gesehen hatte, war allein ihr Überlebensinstinkt ihr Lebensretter gewesen. Den Mann in der schwarzen Kutte hatte sie erst gar nicht bemerkt. Unbemerkt schob sie ihre unverletzte rechte Hand in die Tasche ihres Stoffmantels, den ihr Danil in Ermangelung eigener Kleidung geliehen hatte. Darin befand sich das Amulett. Es beruhigte sie irgendwie, die glatte silberfarbene Scheibe zu berühren. Obwohl es ihr sehr vertraut schien, war sie sich sicher, es bisher noch nie gesehen zu haben. Das war schon irgendwie alles verrückt. Bis jetzt hatte man nicht weiter versucht, sie erneut zu befragen. Ailish hatte jedoch die Befürchtung, dass sie bald auffallen würde, wenn man merkte, dass sie von vielem keine Ahnung hatte, was für diese Menschen wahrscheinlich selbstverständlich war. Manchmal benutzten die Frauen ihr gegenüber irgendwelche Wörter, die sie noch nie zuvor gehört hatte. Auf ihren verständnislosen Blick hin folgte meistens ein mitleidiges Lächeln oder ein trauriges Kopfschütteln. Sie hoffte, dass man ihre Unwissenheit auf ihren so genannten Gedächtnisverlust schieben würde. Doch wie lange noch? Ab und zu gesellte sich Liamh zu ihr, wenn sie gerade das Geschirr im Bach wusch oder sich um die Pferde kümmerte. Er sprach und scherzte ein wenig mit ihr, doch immer richtete er diese wachsamen Augen auf sie. Als ob er nur darauf warten würde, dass sie etwas Falsches sagte. Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch bei den Pferden. Irgendwie musste sie sich ja nützlich machen und die Arbeit bei den Pferden gefiel ihr am meisten. Als Kind hatte sie schon immer Haustiere haben wollen, doch ihre Eltern waren allergisch gegen alle möglichen Tierhaare gewesen, sodass sie nur die Möglichkeit hatte, ihre Freizeit auf einem Reiterhof zu verbringen. Sie nahm dort Reitunterricht, half danach beim Ausmisten der Ställe und verbrachte auch sonst viel Zeit bei den Tieren, sowohl in Irland, als auch in Amerika während ihres Studiums. Später, als sie dann nach dem Studium in Rom die Stelle als Fremdsprachensekretärin bei einem großen, internationalen Konzern annahm, hatte sie immer weniger Freizeit gehabt. Meistens verbrachte sie mindestens zwölf Stunden im Büro und den kurzen Rest des Tages verbrachte sie damit, nebenbei weitere Sprachen zu lernen. Mittlerweile beherrschte sie vier Sprachen fließend und hatte kurz vor ihrer Rückkehr nach Irland die fünfte Sprache begonnen. Man, wenn man sich das so durch den Kopf gehen ließ, hörte sich das irgendwie ziemlich langweilig an. Auch wenn es vielleicht eine großartige Leistung war, doch richtig gelebt hatte sie wohl nie. Ailish war nie der Typ Frau gewesen, der einmal die Woche in die Disco ging und dort Interessante und
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