Tochter der Insel - Historischer Roman
deine Mutter denke, habe ich jedes Recht dazu. Schlechtes Blut fließt durch deine Adern. Es fehlt nur noch, dass du mir einen Balg ins Haus bringst.«
»Sollte ich einmal Kinder haben, wärst du die Letzte, die sie zu Gesicht bekäme. Meine Kinder werden es einmal besser haben als ich!«
»Du hast es gar nicht schlecht, sage ich dir. Wo wärst du denn ohne mich gelandet? Zuerst im Waisenhaus und dann in der Gosse. Ich habe mich meiner Christenpflicht erinnert, als Gott mir den Sohn nahm.«
»Du hast uns doch nur aufgenommen, damit du deine Wut an irgendjemandem auslassen kannst.«
Lea wurde von den Reden der beiden fast übel.
»Hört auf!«
»Ach Lea! Dich behandelt sie doch auch wie den letzten Dreck. Wir werden uns das nicht länger gefallen lassen, nicht wahr!«
»Rebekka, bitte … Lass gut sein!«
»Du hörst es. Lea wird dich nicht unterstützen! Zumindest bei ihr fruchtet meine Erziehung. Und du, mein liebes Kind, wirst in den nächsten Tagen das Haus nicht verlassen!«
Lea stöhnte leicht auf bei der Erinnerung. Ihr war in all den Jahren immer wieder die Rolle einer Vermittlerin zugefallen. Doch das Verhältnis wurde zusehends gespannter und ihre Aufgabe immer schwieriger.
Und schließlich war Rebekka gegangen. Großmutter hatte sie von der Insel in die Arme eines Fremden getrieben.
Warum schrieb sie nicht? Das Schiff, das Rebekka in die Neue Welt gebracht hatte, war angekommen, das hatte Lea schon vor einem Jahr herausgefunden. Mehr aber auch nicht. Mittlerweile hatte sie die Hoffnung auf Nachrichten fast aufgegeben. Hatte die Schwester sie vielleicht bei all der Aufregung und dem Neuen, das sie erlebte, vergessen? Dieser Gedanke tat weh. Sie dachte an den Abend vor der Abreise. Stundenlang hatten sie miteinander geredet.
»Ich bin so froh. Endlich brauche ich mir nicht mehr anzuhören, wie schlecht und verdorben ich bin. Lass dir das nur ja nie einreden. Und hässlich sind wir auch nicht. Wenn du wüsstest, wie Arne mich anschaut.« Rebekka hatte verzückt die Augen verdreht. »Es tut so gut, nach all den bösen Worten. Er sagt, ich sei schön und klug. Das einzige Mädchen, das er jemals heiraten will. Und ich glaube ihm.«
Lea kehrte langsam wieder in die Realität zurück. Wie sehnte sie sich heute nach einem Wort von Rebekka. Wo, um alles in der Welt, mochte ihre Schwester nur stecken? Zwei Jahre waren vergangen, seit sie diesem Fremden in die Neue Welt gefolgt war. Zwei Jahre, in denen Lea weder ein Brief noch eine andere Nachricht erreicht hatte. Anfangs war sie noch voller Hoffnung zum Postschiff gegangen, doch das hatte sie eines Tages aufgegeben.
Großmutter hatte sie darin bestätigt. »Es ist sinnlos, auf Nachrichten von Rebekka zu warten. Ich sage dir, sie ist genauso treulos wie ihre Mutter. Folgt dem Erstbesten, der Hosen anhat, nach Amerika. Wo sie es hier so gut hatte! Na, die wird sich noch wundern. Glaubt, das Gold liegt dort auf der Straße.«
Die vermeintliche Treulosigkeit ihrer Mutter lag wie ein dunkler Schatten über Leas ganzer Kindheit. Was es damit auf sich hatte, war Lea erst später klar geworden. Hiske, die ihnen den Haushalt führte, nahm die beiden Mädchen eines Tages zur Seite und erzählte ihnen die ganze Tragödie.
»Damit ihr es nicht von falscher Seite erfahrt und euch nicht alles so zu Herzen nehmt, was die Frau Brons von sich gibt. Ist ja mit Worten immer schon ein bisschen derb gewesen. Aber eigentlich hat sie das Herz auf dem rechten Fleck, und die Bezahlung stimmt. Und ihr habt es auch ganz gut bei ihr, nicht wahr. Wo doch sonntags immer Fleisch auf dem Tisch steht und eigens ein Lehrer vom Festland kommt.«
»Auf den und seine Rute könnte ich gut und gern verzichten«, hatte Rebekka gemurmelt.
»Mädchen, ihr wisst ja, dass die Frau Brons nicht eure richtige Großmutter und der Alert, ihr Sohn, nicht euer Vater ist«, war Hiske unbeirrt fortgefahren. »Während er zur See fuhr, hat sich eure Mutter in einen Badegast verguckt, der hier auf der Insel die Sommermonate verbrachte. Es muss die große Liebe gewesen sein. Die beiden spazierten Hand in Hand über die Insel und scherten sich nicht darum, was die Leute davon hielten. Irgendwann reiste der Fremde – ein Ausländer wohl – ab, und man sah eure Mutter oft in der Nähe des Landeplatzes stehen. Sie wartete wohl auf seine Rückkehr.
Doch heim kam nur Alert. Als er von der Untreue seiner Frau hörte und sich herausstellte, dass sie ein Kind erwartete, ließ der Unglückliche sich für eine
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