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Tochter der Insel - Historischer Roman

Tochter der Insel - Historischer Roman

Titel: Tochter der Insel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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waghalsige Schiffsfahrt anheuern, von der er nicht zurückkehrte. Eure Mutter starb, als sie euch das Leben schenkte. Die alte Frau Brons hat ihr nie verziehen, dass sie Alert in den Tod getrieben hat, und trägt bis heute Zorn in ihrem Herzen. Ihr wisst es. Sie lässt ihn ja häufig genug an euch beiden aus. Es ist aber auch ein Kreuz, dass ihr diese dunkle Haut und das schwarze Haar abkriegen musstet. Da hat sie die Schmach jeden Tag wieder neu vor Augen. Eure Mutter, die war so hell und freundlich wie ein Frühlingsmorgen. Und Alert hatte auch nichts Dunkles an sich.«
    »Aber wir können doch nichts für unser Aussehen«, regte sich Rebekka auf.
    Hiske hatte nur die Arme ausgebreitet und die beiden Mädchen liebevoll umfangen.
    Lea schluckte bei der Erinnerung an das längst vergangene Gespräch. Sie schloss das Fenster und lehnte die Stirn gegen die Scheibe. Rebekka! Schließlich griff Lea nach dem Teekessel. Das heiße Getränk beruhigte sie. Sie musste sich der Gewissheit stellen, dass die gemeinsame Zeit der Vergangenheit angehörte und all ihre Pläne für die Zukunft nicht in Erfüllung gehen würden.
    Lea griff nach der wollenen Jacke und zog sie über ihr blaues Kleid. Sie schlang sich ein Tuch um die Schultern. Die Arbeit würde warten müssen. Sie trat aus dem Haus, atmete tief durch und schlug den Weg zum Strand ein, vorbei am Kirchturm, dem dunklen Riesen, der inmitten des Dorfes stand. Er reckte sich weithin sichtbar wie ein Mahnmal gen Himmel und diente den Seefahrern zur Orientierung. In einem der fünf Geschosse feierten die Insulaner ihre Gottesdienste. Die kleinen mit Reet gedeckten Häuser rund um den Turm schienen sich hinter den Dünen zu ducken. Der Ziegelweg zwischen ihnen war, wie so oft, versandet. Die Vogtei mit dem Logierhaus wirkte einsam und verlassen, der Pavillon, im Sommer von Badegästen bevölkert, verwaist.
    Lea gefiel es, dass im Augenblick nur wenige Gäste den Frühling auf Wangerooge verbrachten. Noch war das Wasser zu kühl zum Baden. Im Sommer schickte der Badearzt Dr. Chemnitz seine Patienten nach einem strengen Plan in die Fluten – natürlich getrennt nach Männern und Frauen. Zu diesen Zeiten war es den Einheimischen verboten, die Strände zu betreten. Dann schien die Insel nur mehr den Gästen zu gehören. Neben dem Baden im Meer und gutem Essen war das Flanieren eine ihrer Hauptbeschäftigungen. Es gab kaum einen Flecken auf der Insel, wo man sie nicht antraf. Herren mit Frack und Zylinder, Damen, die sich mit Schirmchen gegen die Sonne schützten und Kleider trugen, die für Bälle geschneidert schienen. Sie wetteiferten miteinander um die schönsten Roben und die besten Quartiere. Lea seufzte bei dem Gedanken daran. Doch dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf. Noch war es nicht so weit! Lea beschleunigte ihre Schritte.
    Schon von Weitem drang das Rauschen der Wellen beruhigend an ihre Ohren. Der Wind strich über ihre heißen Wangen. Sie bewunderte die silbrige See, die in der Aprilsonne glänzte. Wie das Meer ihr Herz berührte! Einerseits strebte alles in ihr fort von der Insel, fort von Großmutter. Doch andererseits fragte Lea sich, ob sie leben könnte ohne all dies. Du könntest nicht leben ohne das Meer und nicht ohne Immo, raunte eine Stimme in ihr.
    Bei dem Gedanken an ihn wurde ihr das Herz weit. In seinem letzten Brief hatte er geschrieben, dass er bald kommen würde. Seit frühester Kindheit waren Rebekka, Immo und sie ein unzertrennliches Kleeblatt gewesen. Der Sohn des Inselvogtes und sie hatten all ihre Kostbarkeiten miteinander geteilt: Muscheln und Schnecken, Vogeleier und Steine. Als sie älter wurden, teilten sie ihre Träume. Immo hatte stets neue Ideen für ihr künftiges Leben als Piraten der sieben Weltmeere beigesteuert. Lea, der das Erzählen im Blut lag, malte ihnen Stunde um Stunde in allen Einzelheiten die Abenteuer aus, die sie bestehen würden. Und Rebekka bannte all ihre Geschichten mit bunten Farben auf Papier.
    Dann hatte Immo Wangerooge für lange Zeit verlassen müssen. In der Obhut eines Verwandten besuchte er eine Schule auf dem Festland und begann später mit seiner Ausbildung zum Lehrer. Seine Besuche wurden selten, doch immer führte ihn sein erster Weg auf der Insel zu den Brons-Schwestern. Bei seinem letzten Besuch war er furchtbar traurig darüber gewesen, dass Rebekka die Insel verlassen hatte. Jetzt schloss ihn nur noch eine Schwester in ihre Arme.
    Bei der Vorstellung, von Immo umarmt zu werden, schoss Lea Röte in

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