Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
Markus stand etwas abseits, sah verärgert aus und war auch keine Hilfe.
»Es wird nicht nötig sein, uns zu begleiten«, sagte Strabo ungeduldig.
»Wird es doch.« Darrans Blick war kalt und entschlossen. »Gleich nachdem sie durch das Tor kam, wurde sie von Malina gefangen genommen. Diese Narbe«, jetzt bebte seine Stimme vor unterdrücktem Zorn, »stammt von ihr.«
Gabriella sah, wie ihr Vater erbleichte, dann kroch eine dunkle Röte seinen Hals empor. Der Streit der beiden interessierte sie jedoch nicht. Sie holte tief Luft und trat dicht an Darran heran, der sie jetzt, wo ihre Nase nur eine Handbreit von seiner entfernt war, ansehen musste, ob er wollte oder nicht. »Ich denke ja gar nicht daran, wegzugehen.« Sie sprach sehr langsam und deutlich.
Er fasste sie am Arm und zerrte sie mit sich in eine Ecke der Halle, wo niemand ihr Gespräch mitanhören konnte. Dort wirbelte er sie herum und packte sie an den Schultern. »Gabriella, verstehst du denn nicht? Dieses Land ist tot. So wie seine Bewohner.«
»Welch ein Unsinn! Wenn dir nichts anderes einfällt, um mich loszuwerden …«
Er schüttelte sie, sehr sanft. »Bitte, hör mir zu. Ich weiß nicht, was du dir unter diesem Leben hier vorstellst – vielleicht irgendein wunderbares Sagenland, eine Art Feenreich, so wie in den Märchenbüchern, die bei dir daheim herumstehen, und möglicherweise war es das früher auch. Aber das war lange, bevor die Alten uns zu diesem Dasein verdammt haben. Amisaya ist jetzt ein Land der lebenden Toten. Ein Gefängnis für ein ganzes Volk. Wir können nicht sterben, verstehst du? Wir können nicht. Nur wenn die Nebel uns töten oder wir uns gegenseitig umbringen. Wir sind in Ewigkeit verdammt. Du bist aber nicht verflucht wie wir.« Er tat einen tiefen, zitternden Atemzug und sah sie eindringlich an, seine Finger hatten sich schmerzhaft in ihre Schultern gekrallt, als könne er sie damit überzeugen.
Gabriella hatte nicht einmal die Hälfte von dem gehört, was er sagte. Es interessierte sie auch nicht. »Du willst, dass ich gehe«, fragte sie leise »nach dem, was heute war?«
»Eine wunderbare Erinnerung, für die ich immer dankbar sein werde. Aber«, ein Lächeln huschte über seine Lippen, »was könnte eine Liebe schon wert sein, die duldet, dass du hier lebst.«
Gabriella musterte ihn nachdenklich, die Augenbrauen hochgezogen, die Lippen gespitzt, dann nickte sie. »Verstehe.« Sie verstand jetzt tatsächlich. Ihr Liebster war ein Einfaltspinsel. Selbst nach den vergangenen Stunden hielt er noch an dieser lächerlichen Überzeugung fest, sie könnte nicht selbst für sich entscheiden. Als ihr ein Mann schüchtern ihren Rucksack hinhielt, hätte sie ihn am liebsten gepackt, um ihn Darran um die Ohren zu schlagen.
Aber eine Gabriella Bramante wusste, wann es Zeit war, nach außen hin nachzugeben. Sie umarmte Levana, die sie traurig ansah, nickte Alderan zu, der ernst zurücknickte. Markus schüttelte den Kopf, als sie ihm die Hand reichen wollte. »Ich komme ebenfalls mit.«
Sie ging, ohne sich noch einmal nach Darran umzublicken. Er sollte aber nur nicht glauben, dass er das letzte Wort in dieser Sache hatte.
Vor dem Gebäude erwartete sie ein Trupp Berittener. Gabriella stockte, aber ihr Vater ging wie selbstverständlich auf zwei Pferde zu, die von einem Bewaffneten gehalten wurden. Strabo reichte ihm Gabriellas Rucksack, legte ihr einen festen Mantel um die Schultern und zog ihr die Kapuze ins Gesicht. »Die Sonne geht demnächst unter, und bald wird der Sturm aufkommen.«
Das hieß Sand in fast jeder Ritze ihrer Kleidung und ihres Körpers. Sie zog den Mantel eng um sich. Ihr Vater half ihr aufzusteigen, und Gabriella saß auf, bemüht, nicht gleich auf der anderen Seite wieder hinunterzurutschen. Oben angekommen, wetzte sie unbehaglich im Sattel herum. Zuletzt war sie mit acht Jahren auf so etwas gesessen.
Erst jetzt, bei Tageslicht, sah sie, wie groß Darrans Heim tatsächlich war. Das Hauptgebäude ähnelte beileibe keiner Burg, wie sie während der Nacht gedacht hatte, sondern war, ähnlich wie das Schloss, in dem sich das Tor befand, aus luftigen Säulengängen erbaut. Sie sah sinnend hoch. Wie musste ein Land ausgesehen haben, in dem ein Volk solche Bauwerke schuf? So luftig, leicht. Es musste einmal paradiesisch schön hier gewesen sein. Jetzt allerdings trieb der Wind nur Sand zwischen den Säulen hindurch und keine Blütenblätter.
Sie sah, wie Darrans Männer erschienen, Staub aufwirbelten, als
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