Tochter der Träume / Roman
ein kleiner Spalt, doch der reichte nicht aus, und so musste ich ihn auseinanderziehen. Das war zwar nicht schlimm, aber ich hätte auch gerne darauf verzichten können.
Als das Portal endlich weit genug geöffnet war, standen mir vor Anstrengung Schweißperlen auf der Oberlippe. Ich wandte mich an Noah und hielt ihm meine Hand entgegen. »Bereit?«
Seine Finger fühlten sich kalt an. Seine Wärme wich schneller aus ihm, als ich gedacht hätte, und mittlerweile war der bronzene Schimmer seiner Haut vom Schwund seiner Anima, dem Quell des Selbst, verblichen.
Seine Augen blickten matt und schwarz. »Ich bin bereit.«
Ich drehte mich noch einmal zu Antwoine um. Er nickte feierlich. Es war so weit.
Noah und ich durchschritten das Portal gemeinsam, traten in den Nebel der Traumwelt ein und unserem ungewissen Schicksal entgegen.
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Kapitel 24
O mein Gott!«
Noah sah sich ehrfürchtig um – oder ängstlich, da war ich mir nicht sicher. Es könnte beides sein, da gerade die wabernden Fangarme des Nebels seine Aufmerksamkeit beanspruchten.
Der Nebel hatte ihn ebenfalls bemerkt. Seine bedrohlichen Tentakel rochen einen Menschen, wanden sich und formten schlangenförmige Gebilde. Aus dem Nebelstrudel drangen scharfe Krallen hervor, die für mich, das abnorme Wesen, bestimmt waren. Noah würden sie lediglich fortbringen – an einen Ort, der für Träumende nicht tabu war.
Doch ich brauchte Noah an meiner Seite und musste daher darauf achten, ihn nicht zu verlieren und mich nicht von dem Kampf gegen den Nebel ablenken zu lassen.
Ich zog meinen Dolch aus der Scheide und hielt ihn empor. Zu schade, dass er nicht größer war, mit einem Schwert wäre die Sache schneller erledigt.
Der Marae-Dolch summte in meiner Hand – summte und verzog sich. Ich beobachtete, wie sich eine Veränderung vollzog, fühlte die Bewegung des Griffs unter meiner Hand. Der Handschutz dehnte sich, genau wie das Stichblatt, das nicht nur breiter, sondern auch länger wurde. Und mit einem Mal hielt ich ein echtes Schwert in der Hand. Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, war der Mondstein.
»Hast du das bewirkt?«, fragte Noah mit großen Augen.
Mein Erstaunen war mindestens genauso groß. »Ich denke schon.«
Mit erhobenem Schwert ging ich voran. Noah hielt meine freie Hand fest umklammert, während er dicht hinter mir blieb. Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber die Klinge meiner neuen Waffe schien ein wenig zu glühen, als wir uns dem Nebel näherten.
»Aus dem Weg«, herrschte ich ihn grimmig an. Doch tief in meinem Inneren zitterte ich. Wie konnte ich Karatos bezwingen, wenn ich nicht an dem Nebel vorbeikam? Wie konnte ich dann Noah retten?
Zu meiner Überraschung gehorchte der Nebel, zog sich zurück und formte einen Pfad, wie bei meiner letzten Begegnung. Vielleicht erinnerte er sich, dass ich ihn beim letzten Mal durchschnitten hatte.
»Traumwesen«, wisperte er. »Kein Traumwesen.«
»Ich
bin
ein Traumwesen«, sagte ich, während ich mich auf den Pfad zubewegte. Es könnte eine Falle sein, die Nebelwände könnten uns umschließen, sobald wir ihn betreten hatten. Der Nebel würde mir Noah entreißen und ihn wegbringen, und ich wüsste nicht, was dann mit mir geschehen würde, da er bereits mein Blut geschmeckt hatte.
»Ich bin als Traumwesen hier, um etwas zu klären«, sagte ich. »Mit dem Dämon Karatos.«
»Karatos«, wiederholte der Nebel mit einer einzelnen Stimme, die sich doch nach vielen anhörte. »Dämon.« Die Nebelmauern hielten uns noch immer umfangen, und ich musste mich beherrschen, um nicht einfach draufloszurennen. So ging ich nur zügig, und Noah, der offenbar gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte, hielt mit mir Schritt.
Wir traten aus dem Nebel hinaus und direkt in den Empfang der Schlafklinik.
»Guten Morgen, mein Sonnenschein«, rief Bonnie uns von ihrem üblichen Platz hinter dem Empfang zu. »Dein erster Termin ist schon da. Er wartet in deinem Büro.«
Karatos. Ich konnte ihn spüren und er mich ebenfalls. Kein Zweifel. Er spielte mit mir. Bonnie dagegen war keine Illusion, die Karatos heraufbeschworen hatte, sie träumte das hier wirklich in diesem Augenblick. Irgendwie hatte Karatos sie in die Szenerie hineingebracht oder ihren Traum für seine Zwecke gewandelt. Wenn Bonnie morgen früh erwachte, war die Chance groß, dass sie sich erinnerte.
Ich senkte das Schwert und lächelte sie kurz an. »Danke. Gehen wir später Mittag essen?«
»Klar doch.« Sie zwinkerte mir
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