Tochter des Glueck
Baba auf den Schoß setzte – in diesen Augenblicken war niemand auf der ganzen Welt glücklicher als wir.«
Ich möchte Joy etwas Frisches zum Anziehen geben. Stattdessen schlüpft sie wieder in dieselben schmutzigen, verschwitzten Sachen, die sie heute getragen hat und auch morgen wieder tragen wird. Wir gehen gemeinsam zum Eingangstor.
»Kommst du wieder?«, frage ich, fast als wäre sie eine Bekannte, denn als Joys Mutter weiß ich, dass es besser ist, ein wenig Abstand zu halten.
Sie nickt kaum wahrnehmbar.
Während meiner vierten Woche in der Kommune fragt Brigadeführer Lai eines Tages beim Mittagessen in der Kantine eine Gruppe von Bauern, wie viel Weizen sie pro mu produzieren können.
»Wir bauen keinen Weizen an«, antwortet Taos Vater. Mehrere Männer nicken bestätigend. »Wir haben noch nie Weizen angebaut. Wir pflanzen Reis auf den überfluteten Feldern, Tee auf den Terrassen und Baumwolle, Raps und Gemüse anderswo.«
»Ja, aber wie viel Winterweizen werdet ihr in diesem Herbst pro mu anpflanzen?«, möchte Brigadeführer Lai dennoch wissen.
Taos Vater bespricht sich mit den anderen, bevor er antwortet. »Vielleicht dreihundert jin .«
»Dreihundert jin ? Macht achthundert oder tausend jin daraus!«
»Das ist unmöglich«, bemerkt Parteisekretär Feng, der von den Ideen des Stadtkaders nichts hält, obwohl es riskant ist, sich ihm zu widersetzen.
»Im Großen Sprung nach vorn ist nichts unmöglich!« Als er spürt, dass die Bauern nicht mitziehen, fragt Brigadeführer Lai: »Wie viel Reis braucht ihr zum Essen?«
»Wir hatten immer mindestens anderhalb jin Reis pro Tag.«
Das ist nicht viel. Ein einziges jin Reis reicht für ein gedämpftes Teigbällchen, eine Schüssel Reisbrei und Reis zum Mittag- und zum Abendessen.
»Ihr esst jetzt viel mehr als das«, bemerkt Brigadeführer Lai.
Und das stimmt. Zu jeder Mahlzeit gibt es mehr als genug Reis. Ich bin mir sicher, dass ich zugenommen habe, seit ich in der Kommune lebe.
»Mit unserer ersten Winterweizenernte machen wir Folgendes«, fährt der Brigadeführer fort. »Das nennt sich Dichtpflanzung. Man sät auf ein einziges Feld sechsmal so viele Körner aus.«
Die Männer stöhnen.
»Das funktioniert nicht«, sagt einer von ihnen. »Wenn man zu dicht sät, sterben die Pflanzen ab, weil sie zu wenig Sonne und Nährstoffe bekommen.«
»Da täuschst du dich«, entgegnet der Brigadeführer. »Der Vorsitzende Mao sagt, die Dichtpflanzung ist, als würde man die Massen im Krieg dazu bringen, eine stabile Flanke gegen das Vorrücken des Imperialismus zu bilden. Stellt euch nur vor, wie viel Weizen wir anbauen werden! Mehr als siebenhundert jin pro mu .« (Wenigstens ist er mit seiner Schätzung nach unten gegangen.) »Wir werden so viel Weizen haben, dass wir ihn verschenken müssen. Wir werden eine Modellkommune!«
»Wo sollen wir diesen Weizen denn anpflanzen?«
»Ihr reißt ein paar von den Teesträuchern aus und pflügt die Gemüsefelder um«, sagt Brigadeführer Lai barsch. »Unser großer Vorsitzender sagt, er will Weizen. Also geben wir ihm Weizen.«
Im Radio wird die Uhrzeit durchgesagt. Die Bauern erheben sich langsam und schütteln die Köpfe. Wie soll man mit jemandem, der sein ganzes Leben in der Stadt verbracht hat, über den Boden reden, den man beackert, und die Feldfrüchte, die man selbst schon seit Generationen geerntet hat? Selbst ich weiß dank meines kleinen Gartens in Los Angeles, dass es nicht funktionieren kann, was der Brigadeführer vorgeschlagen hat, aber alle haben Angst, zu viel Kritik oder Skepsis zu äußern. Niemand möchte Schwierigkeiten bekommen. Niemand möchte unangenehm auffallen. Wer wenig zu verlieren hat, will das wenige, was er hat, erst recht nicht verlieren. Wir alle setzen ein Lächeln auf, als wir zurück in die Sonne zu unseren Arbeitsgruppen gehen.
An diesem Nachmittag erzählen die Frauen von der Gruppe Graue Kraft Geschichten über Geburten. Eine erschütternde Geschichte nach der anderen. Ich erzähle ihnen, dass ich meinen Sohn bei der Entbindung verloren habe. Eine Tochter zu verlieren ist traurig, sagen sie. Einen Sohn zu verlieren, ist tragisch. Sie weinen mit mir, und ich fühle mich einer Gemeinschaft zugehörig, wie ich es bisher noch nie erlebt habe.
Als sich der Tag dem Ende zuneigt, trotten die Leute von den ihnen zugeteilten Aufgaben wieder ins Dorf zurück. Joy und Kumei treffen gemeinsam auf den Dorfplatz ein. Joy lässt die Schultern hängen, und sie wirkt gehetzt.
»Ich
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