Tochter des Glueck
oder sitzen in der Hocke und blicken zum Mond hinauf. Ich teile die Kuchen aus. Die Kinder sind noch nicht alt genug, um bittersüße Erinnerungen zu haben, aber die Erwachsenen schon. Wenn wir die Kuchen sehen, erinnern wir uns an die Vergangenheit – an Menschen, die von uns gegangen sind, an glückliche Festtage.
»Ich hoffe, wir können dieses Jahr neue Erinnerungen für die Zukunft schaffen«, sagt Joy.
Ich bin seit sechs Wochen hier. Joy kommt immer noch jeden Abend zum Baden ins Hofhaus. Sie hat aufgehört, sich über ihre Schwiegermutter zu beklagen, und sie scheint sich nie daran zu stören, auf derart beengtem Raum mit so vielen Menschen, hauptsächlich Kindern, zusammenzuleben. Ich habe ihr beim Malen zugesehen und eine Seite meiner Tochter entdeckt, von der ich nie wusste, dass es sie gibt. Ich habe sie auf den Feldern arbeiten sehen – mit einem Lächeln im Gesicht, selbst wenn ihr die Haut brannte. Sie ist über den Berg. Obwohl sie auch Tragödien erlebt hat, kann sie lachen, mit ihrer Ehe zufrieden sein und glücklich und begeistert an etwas arbeiten, das wirklich größer ist als sie. Daher werde ich, sosehr ich Joy auch liebe, Z. G. zur Chinesischen Exportwarenmesse in Kanton begleiten, wenn er mich abholt. Meine Tochter ist jetzt eine verheiratete Frau. Sie hat sich ein Leben ausgesucht, das ich für mich nicht wählen würde, aber es ist ihr Leben, und sie wird ihre Probleme selbst lösen müssen – als Frau. Sie loszulassen, tut mir entsetzlich weh, aber es ist das Beste und Einzige, was ich als ihre Mutter tun kann.
Als es Zeit wird, einige der Mondkuchen als Opfergabe auf den Boden zu legen, setzen wir – Mutter und Tochter – uns zusammen, umgeben von einem Gewusel von Kindern. Heute Nacht brauchen wir keine Bohnenöllampen. Der Mond sorgt für die Beleuchtung. Er strahlt hell, und Mondschatten tanzen um uns herum. Joy nimmt meine Hand in ihre und legt sie auf ihr Knie.
»Das ist eine ganz besondere Nacht«, erklärt sie den Kindern. »Die Dame im Mond wird sich eure Wünsche anhören und eure Bitten erfüllen, aber nur, wenn sie einzigartig sind und bisher noch nie gehört wurden.«
Joy blickt hinauf zum Mond, genau wie die Kinder. Auch ich schaue den Hasen im Mond an, der auf ewig das Elixier der Unsterblichkeit stampft. Ich habe einen ganz einfachen Wunsch. Lass meine Tochter weiterhin glücklich sein.
Ende Oktober kommt Z. G. ins Dorf zurück. Am selben Abend packe ich meine Sachen, danke Yong und Kumei für ihre Gastfreundschaft und verspreche Ta-ming, ihm Bücher und Papier zu schicken. Am Morgen begleitet uns Joy auf den Hügel hinauf. »Schreib mir«, sage ich. »Wenn die Messe in Kanton zu Ende ist, fahren wir direkt zurück nach Shanghai. Ich bin in der Nähe, wenn du mich brauchst.« Dann blickt uns Joy nach, wie Z. G. und ich den staubigen Weg Richtung Hauptstraße gehen. Ich drehe mich immer wieder um und winke, bis ich sie schließlich nicht mehr sehe.
Das ist einer der wenigen Momente in meinem Leben, in denen ich mit Z. G. völlig allein bin. Früher war immer May dabei. Seit ich nach China zurückgekehrt bin, hat Joy uns fast ständig begleitet. In den vergangenen Monaten haben Z. G. und ich uns neu kennengelernt. Er ist Joys Vater, und ich bin ihre Mutter, und das verbindet uns auf einer tiefgehenden Ebene. Jetzt, da wir allein sind, haben mir wohl beide ein wenig Angst davor, was passieren könnte. Ich habe mir eingeredet, nicht zu wollen, dass irgendetwas passiert. Ich liebe meine Schwester zu sehr, und ich möchte nicht, dass das Gleichgewicht, das Z. G. und ich mit Joy gefunden haben, ins Wanken gerät. Aber ich würde lügen, wenn ich bestreiten würde, dass eine erwartungsvolle Unsicherheit zwischen uns liegt – zunächst im Bus und danach auf dem Schiff nach Kanton. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und er weiß nicht, wohin er schauen soll.
In Kanton gehen wir in ein Hotel. Natürlich nehmen wir getrennte Zimmer. Wir treffen uns mit dem Rest der Delegation aus Shanghai zu einem zwanglosen Abendessen – Z. G. und mir sind alle anderen fremd. Man stößt mit mao tai an, einem starken Schnaps. Wir essen Nudeln und trinken noch mehr Schnaps. Alle lachen und erzählen Witze, was mich an die Zeit erinnert, als Z. G. und ich jung waren und jeder Abend so verlief. Als es Zeit wird, aufzubrechen, stelle ich überrascht fest, wie schwummrig mir ist. Z. G. ist in noch schlechterer Verfassung, er schwankt unsicher durch den Korridor zu unseren Zimmern. Wir
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