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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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doch damit hatte ich bisher noch kein Glück.
    Ich bitte Z. G. um Hilfe, aber selbst er bekommt keine Reisegenehmigung. Ich schreibe May von meinen Sorgen. Zwei Wochen später antwortet sie, dass sie von Joy gehört habe und es ihr gut zu gehen scheint. Das beruhigt mich ein bisschen, aber der Wunsch, in diesem besonderen Lebensabschnitt meiner Tochter bei ihr zu sein, vergeht nicht. In den folgenden Wochen suche ich mehrmals das Büro von Inspektor Wu auf. Ich erzähle ihm, dass ich immer noch nichts von meiner Tochter gehört habe, und bitte nochmals um eine Reisegenehmigung. Während eines meiner Besuche teilt er mir mit, dass derzeit so gut wie keine Genehmigungen erteilt werden.
    »Es scheint fast, als würden sie verhindern wollen, dass jemand aufs Land reist«, sagt er.
    »Wieso das denn?«
    Inspektor Wu weiß es nicht. Aber schließlich erkundigt er sich – er weigert sich, mir zu sagen, wo – und kann mir mitteilen, dass es Joy gut geht.
    »Gut?« Das hatte auch May gesagt, doch ich bin Joys Mutter, und ich habe irgendwie ein ungutes Gefühl. »Wenn es ihr gut geht, warum hat sie mir dann nicht geschrieben?«
    Darauf weiß er auch keine Antwort. Ich fange an, die Zeit danach zu messen, wie viele Tage es noch bis zum Geburtstermin sind.
    Der 1. Oktober – der Nationalfeiertag – ist endlich da. Es ist ein goldener Herbsttag, und ich versuche mir vorzustellen, wie meine Tochter im achten Schwangerschaftsmonat aussieht. Ich male mir aus, wie die Kommune diesen Feiertag mit Feuerwerkskörpern, einem großen Bankett und den über die Lautsprecher übertragenen Reden aus Peking begeht. Dieses Bild verschließe ich in meinem Herzen und mache mich fertig für die Feier hier. Vor Monaten hat mich Z. G. eingeladen, mit ihm nach Peking zu fahren und die dortigen Feierlichkeiten mitzuerleben. Er sagte, wir würden mit Mao auf dem Podium sitzen, um die Parade anzusehen und die Reden vor der Verbotenen Stadt zu hören. Das wäre allerdings ein einzigartiges Erlebnis gewesen, aber ich bleibe in Shanghai, um näher bei Joy zu sein, für den Fall, dass ich doch plötzlich eine Reisegenehmigung bekomme. Ich werde mit Dun, den anderen Mietern und Tante Hu feiern.
    Unser gesamter Haushalt zieht rote Hemden und Blusen an, und dann machen wir uns auf den Weg. Wir winken mit kleinen roten Fähnchen, als die Parade an uns vorbeizieht. Wir sehen Scharen von Kindern in weißen Hemden, blauen Hosen oder Röcken und roten Tüchern um den Hals. Brigaden der Roten Volksarmee marschieren stramm und geordnet voran. Eine Kommune nach der anderen zieht in voller Zahl die Paradestrecke entlang, mit hochgereckten Fäusten oder mit roten Fähnchen winkend. Festwagen, die die wirtschaftlichen und militärischen Leistungen des Landes herausstellen, rollen stolz vorbei. Jeder Missstand hier, jeder Augenblick, in dem ich mein Zuhause in Los Angeles vermisse, wird durch Momente wie diesen aufgewogen, in denen ich großen Stolz darüber empfinde, was China in zehn Jahren erreicht hat.
    Dun und ich gehen, bevor die Reden anfangen. Wir treffen uns mit Tante Hu bei ihr zu Hause, da sie sich mit ihren gebundenen Füßen nicht auf den vollen Straßen bewegen kann. Wir setzen uns in ihren Salon, und sie serviert uns Rosenblättertorte.
    »Tante Hu, bei dir gab es immer das beste Backwerk«, sage ich, nachdem ich gekostet habe. »Wie kommst du denn trotz der Engpässe an so etwas heran?«
    Tante Hu zwinkert vergnügt. »Ich versuche stets, in diesen schlechten neuen Zeiten die guten alten Zeiten zu finden. Komm, beug dich zu mir her, dann erzähle ich es dir.« Ich gehorche, und Madame Hu flüstert: »Erinnerst du dich an die russische Bäckerei in der Avenue Joffre, in der deine Mutter immer eure Geburtstagstorten gekauft hat? Einer der chinesischen Helfer bäckt nun nach diesen Rezepten Kuchen in seiner Wohnung. Er verkauft sie nur an besondere Kunden, die ein Geheimnis wirklich bewahren können. Sollen wir für Duns Geburtstag einen besorgen? Weißt du, wann das ist?«
    Sie lehnt sich wieder zurück und blickt liebevoll auf Dun, der auf dem Samtsofa im Salon sitzt, ein Buch liest und so tut, als interessierte ihn das große Geheimnis gar nicht. Dun begleitet mich seit ein paar Wochen zu Tante Hu, nachdem ich ihm von ihrer Sammlung englischer Bücher erzählte. Tante Hu mochte Dun sofort und behandelte ihn wie den Sohn, den sie vor Jahren verlor. Ich war überrascht, wie glücklich es mich machte, dass sie Dun so ins Herz schloss; es war, als würde

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