Tochter des Glücks - Roman
Während des Tages ist diese Arbeit brutal. Pulveriger Staub steigt von der verbrannten Erde auf. Die Luft ist erdrückend heiß. Wir haben das Gefühl, in einem Ziegelofen zu schuften, aber wenigstens müssen wir nicht die Straße bauen. Wir arbeiten mit Leuten zusammen, die wenig Sinn für Perspektive, Schattierung oder die richtigen Dimensionen haben. Das ist jedoch nicht schlimm, denn der Große Sprung nach vorn hat das Gespür dafür ebenfalls verloren. Auf Taos Wandbild rudern Fischer in Erdnussschalen so groß wie Sampans übers Meer (um zu zeigen, wie riesig die Erdnüsse in der Neuen Gesellschaft sind) und holen gewaltige Netze mit gigantischen springenden Fischen ein.
»Schnell, schnell«, ruft Tao uns zu. »Wir dürfen nicht in Rückstand geraten. Wir haben nur noch vier Stunden!«
Ich wusste nicht, dass er so ehrgeizig ist.
In der folgenden Woche leite ich die Gruppe an, einen Teich auf meine schmale Wand zu malen. Auf der Oberfläche das Teichs, im Zentrum des Wandbilds, schwimmt eine riesige Lotusblume. Über die Größe kann sich niemand beschweren, sie steht im Einklang mit den Übertreibungen des Großen Sprungs nach vorn. Der Lotus symbolisiert Reinheit, weil er aus dem Schlamm herauswächst, aber dennoch makellos wirkt. Doch die Lotusblüte, die ich male, hat Flecken und Druckstellen. Über allem fliegt Chang E, die Mondgöttin. Mit Tränen in den Augen blickt sie herab. Wenn jemand fragt, warum sie weint, erkläre ich, dass ihre Glückstränen den Teich füllen und den Lotus rein waschen. In meinem Inneren glaube ich, dass sie das chinesische Volk beweint.
Ich bin schwanger, lebe an einem bedrückenden Ort, versuche, das Beste aus einer schlimmen Situation zu machen, und hoffe, die Zusammenarbeit wird etwas zwischen Tao und mir verändern. Das ist unrealistisch, ich weiß, aber Taos Träume sind das auch. Für ihn ist das Wandbild ein Weg, die Kommune zu verlassen und nach Peking oder Shanghai zu kommen. »Die Leute werden den Künstler kennenlernen wollen«, erzählt er den hübschen Mädchen, die sich um ihn versammeln, wenn er malt. »Nicht alle werden hierherkommen. Ich werde zu ihnen fahren müssen.« Er flirtet mit den Mädchen, aber mich behandelt er zunehmend förmlicher – als gebrandmarkte Frau, die zufällig die Mutter seines ungeborenen Sohnes ist. Ich versuche so zu tun, als wäre mir das egal.
In der dritten Woche bemalt Tao die ihm zugeteilte breite Seite der Führungshalle. Das Motiv ist etwas, das wir alle gerne sehen würden: Reisfelder, die sich bis zum Horizont erstrecken, dicke Kinder, die Leitern zu Weizenähren hochklettern, Babys, die neben Tomaten sitzen, die größer sind als sie selbst. Das Porträt des Brigadeführers inmitten all dieses Glücks gelingt Tao gut.
Inspiriert von unserem Projekt, beschließt Brigadeführer Lai eine Woche später, einen ganz neuen Sputnik zu starten. Während ein paar von uns in der Vollmondnacht das letzte Wandbild malen – mein Bild –, arbeitet der Rest der Kommune an der Straße mit dem Ziel, bei Sonnenaufgang die Führungshalle erreicht haben.
Man sagt, in der Malerei liege Poesie, und in der Poesie liege Malerei. Ich möchte, dass mein Wandbild für sich selbst spricht, von unterschiedlichen Betrachtern jedoch auf unterschiedliche Weise gesehen werden kann. Ich habe über etwas nachgedacht, was Z. G. einmal zu mir gesagt hat: Die Menschen werden von der Erde und dem Wasser um sie herum geprägt. Mein Bild soll diese Vorstellung widerspiegeln. Ich zeichne den Umriss der zentralen Gestalt schwarz und bitte dann meinen Mann, sie auszumalen: der Vorsitzende Mao als Gott, der über dem Land und den Menschen aufragt, den Massen enthoben, und die Natur selbst herausfordert. Das ist meine heimliche Kritik, aber ich bin mir sicher, der Brigadeführer, der Parteisekretär und andere Mitglieder der Kommune nehmen es für bare Münze. Ich betraue Zweier- und Dreiergruppen mit der Arbeit am Himmel und am Hintergrund, wo sich aus dem Erdboden Chinas Gestalten erheben – gefertigt aus dem roten Lehm dieses Landes, um zu gehorsamen Bauern geformt zu werden. Kumei gebe ich die wichtige Aufgabe, eine Gruppe zu leiten, die gigantische Rettiche malt, wodurch die Mitglieder der Kommune mein Bild wiederum als Kunstwerk des Großen Sprungs nach vorn erkennen. Maiskolbenraumschiffe voll lachender Astronautenbabys fliegen über den Himmel – vermeintlich ein Tribut an die landwirtschaftlichen und technischen Fortschritte Chinas, gedacht für die
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