Tochter des Glücks - Roman
respektiert und gefürchtet. Jetzt sind sie in meinen Augen nur Clowns – sogar Sung-ling, meine angebliche Freundin.
»Einen Sputnik zu starten, ist ein ganz besonderes Vorhaben«, bemerkt Parteisekretär Feng Jin, der von den dreien am zurückhaltendsten ist. »Vierundzwanzig Stunden, das ist nicht sehr lange, um eine so außergewöhnlich große Menge an Arbeit zu verrichten. Wir wollen einen Sputnik starten« – er blickt die anderen unsicher an –, »keinen Ochsenkarren.«
Das braucht er uns nicht zu sagen. Jeder hier im Raum weiß, wie sinnlos die Sputnik-Projekte waren – in vierundzwanzig Stunden wurde ein Brunnen gebaut, der beim ersten Regen wieder zusammenfiel, oder es wurden in vierundzwanzig Stunden für die gesamte Kommune Hosen genäht, bei denen dann die Beine nicht zusammenpassten.
Als er sich an die möglichen Fallen erinnert, äußert Brigadeführer Lai neue Bedenken. »Das darf kein individuelles Projekt sein. Für individuelles Denken oder Handeln gibt es in der Neuen Gesellschaft keinen Platz.«
Ich lächle nicht, aber mir ist sehr danach, denn genau diese Einwände habe ich erwartet.
»Aus diesem Grund bin ich hier«, sage ich. »Einen Sputnik zu starten, das bedeutet zu improvisieren, einzusetzen, was vor Ort vorhanden ist, aber man braucht auch viele Helfer. Ich bitte mit allem Respekt darum, dass ihr für das Projekt eine Arbeitsgruppe bestimmt. Ich schlage vor, dass wir vier Sputniks starten – für jede Seite des Gebäudes einen.«
»Das sind vier Tage!«, ruft der Brigadeführer. »Und du bist schwanger. Die Partei sagt, werdende Mütter sollen nur leichte Arbeiten verrichten.«
Ein Witz! Glaubt er denn, ein Wandbild zu malen, sei schwerer, als in der prallen Sonne eine Straße zu bauen? Glaubt er, es ist schlimmer, als dass mir die Schultern anschwellen, weil ich schwere Steine und Erde in Eimern an Tragestangen schleppen muss, um die Natur umzuarbeiten, und dabei nur wenig zu essen bekomme? Mein Optimismus war sehr schnell der Ernüchterung gewichen. Der Tiger springt, aber diesmal schaue ich geradeaus nach vorne.
»Tag und Nacht machen wir Revolution!«, rufe ich. »Wir arbeiten länger als vier Tage, wenn nötig! Wir wollen unsere Kommunenkader ehren!«
»Bist du sicher, dass es uns wirklich nichts kostet?« Das sagt der Brigadeführer, der im Hofhaus schläft und hier in diesem Gebäude ganz allein köstliche Mahlzeiten zu sich nimmt.
»Selbst wenn ich ein paar Materialien kaufe«, sage ich, »dann kostet das nicht mehr als zwei yuan . Denkt daran: ›Mehr, schneller, besser und billiger!‹«
Der Brigadeführer strahlt. Für weniger als einen Dollar wird er einen vermeintlichen Lobgesang auf seine Leistungen bekommen, so wie der Vorsitzende Mao seine riesigen Plakate im ganzen Land.
Vier Wände, vier Sputniks. Jeden Dienstag im Juli malen wir ein Wandbild, um die vier Wände der Führungshalle zu verschönern.
»Meine Genossin Ehefrau hat mir sehr dabei geholfen, meinen Sputnik zu planen«, erzählt Tao Kumei, Sung-ling und dem Rest der Arbeitsgruppe, die uns zugeteilt wurde. Er lächelt mit seinen großen weißen Zähnen, und alle erwidern sein Lächeln. Natürlich denkt er, das wäre sein Projekt, und übernimmt die gesamte Planung. Er skizziert ein paar neue Ideen, die den fünf genehmigten Themen für die Wandbilder entsprechen: die natürliche Schönheit des Vaterlands, wissenschaftlicher Fortschritt, technische Kenntnisse und Produktion, Babys, um das Bevölkerungswachstum anzuregen, und glückliche Familien. Es gefällt allen außer Sung-ling.
»Das sind festliche Bilder«, sagt sie, »aber nicht das, was das Komitee gebilligt hat.« Sie sieht mich fragend an. Sie kennt sich vielleicht nicht gut mit Kunst aus, aber offenbar erkennt sie den Unterschied zwischen meinen und Taos Zeichnungen. Meine Miene ist so ausdruckslos wie möglich. Ich mag ja eine Genossin mit zweifelhafter Vergangenheit sein, doch zuallererst bin ich Ehefrau. Das versteht Sung-ling. Sie ist immerhin selbst ein Kader, ihr Mann aber ist schließlich Parteisekretär. Mao mag zwar behaupten, dass Frauen die Hälfte des Himmels stützen, doch es ist die unbedeutendere. Dennoch muss Tao vorsichtig vorgehen. Um seinen sozialistischen Geist zu zeigen, teilt er die Wände gnädigerweise zwischen uns beiden auf. Jeder von uns bekommt eine schmale Wand und eine breite Wand, die wir nach Gutdünken bemalen können.
In der ersten Vierundzwanzig-Stunden-Phase malen wir das erste Wandbild von Tao.
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