Tochter des Glücks - Roman
lächelt. Ich lächle. Nun haben wir doch noch die Möglichkeit, unsere Verlobung zu feiern.
Wir setzen uns zu einem aufwendigen Festmahl. Es gibt mehr zu essen, als ich seit meiner Ankunft in China gesehen habe, und es ist fantastisch: ganze geröstete Stubenküken mit frischen Zitronenscheibchen und kleinen Schälchen mit Salz zum Eintunken, süßer Klebreis, in die Löcher von Lotuswurzeln gefüllt und dann gedünstet, damit er so zuckrig wie möglich schmeckt, dünne Tofuscheibchen, frisch und zart wie Eiercreme, mit frischen Jakobsmuscheln, ganze Krebse mit gehackten Frühlingszwiebeln, frischem Koriander und Chili bestreut, Schweinebauch in Honig, weich gekochte Eier mit Kaviar, garniert mit dünnen Scheibchen eingelegtem Gemüse, frittiertes Blattgemüse, überzogen von süßem Sirup, und ein ganzer gedämpfter Fisch. Unser Gastgeber erzählt den Gästen aus Hongkong, es gebe in China so viel zu essen, dass es nicht nötig sei, Reis zu servieren. »Das wäre überflüssig«, sagt er, und die Gäste lachen zustimmend.
Dun und ich essen sämtliche Delikatessen, mit denen »unsere Freunde aus Hongkong« beeindruckt werden sollen, und wir genießen jeden Bissen. Ich spreche in meinem besten britischen Englisch mit einem Herrn, der eine Textilfabrik in Kowloon besitzt. Er möchte eine Fabrik auf dem Festland aufmachen. Ich höre Dun zu, wie er mit einer Frau zu seiner Linken sein Englisch übt. Er ist gewandt und humorvoll. Ab und an werfe ich einen Blick zu Z. G. hinüber. Er sieht gut aus. Er hat nicht abgenommen, und nun verstehe ich auch, warum, wenn er öfter zu Festessen wie diesem eingeladen wird.
Nach dem Essen gehen wir in einen angrenzenden Raum mit einer kleinen Bühne, auf der uns Tänze und Lieder aus der Provinz vorgeführt werden. Dann wird eine Leinwand heruntergelassen, die Lichter werden gedämpft, und ein Projektor beginnt zu surren. Ich rechne mit einer Nachrichtensendung über den Großen Sprung nach vorn. Stattdessen gibt es einen Kurzfilm von Laurel und Hardy, gefolgt von Ich tanz mich in dein Herz hinein mit Fred Astaire und Ginger Rogers. Ein Jahr bevor wir Shanghai verließen, habe ich diesen Film mit May im Metropole gesehen. Nach dem Film kommen die Leute von unserem Tisch zu uns und stellen Fragen.
»Fahren alle Amerikaner Auto?«
»Haben alle ein eigenes Flugzeug?«
»Leben alle Leute in solchen Häusern?«
Keiner von ihnen kommt aus Hongkong.
J OY
Eine gute Mutter
A n einem Sonntagmorgen im März bemerke ich beim Aufwachen die unnatürliche Stille. Die Hähne und Hennen im Gründrachendorf sind längst verspeist. Die Ochsen, Wasserbüffel und Dorfhunde landeten ebenfalls in den Kochtöpfen. Ich höre keine Mäuse oder Ratten in den Dachsparren und Wänden mehr kratzen, denn auch sie dienten uns als Nahrung. In den Bäumen gibt es keine Vögel mehr, zwischen den Häusern spielen keine Kinder, niemand geht seinen täglichen Arbeiten nach.
Taos Brüder und Schwestern schlafen noch um uns herum. Sie sind erschöpft. Gestern Nacht haben sie sich hinausgeschlichen, um die flaumigen Weizenähren zu stehlen, zwischen den Fingern zu reiben, damit sich das Korn von den Spelzen trennte, und dann die noch grünen Körnchen zu essen. Das verstößt absolut gegen die Regeln, und man wird unverzüglich hart bestraft, wenn man von den Nachtpatrouillen erwischt wird. Man hat schon Leute an den Pagodenbaum auf dem Platz gefesselt und ihnen die Ohren, die Nase oder die Kopfhaut abgeschnitten oder ihnen das Haar im Gesicht, auf dem Kopf oder an den Geschlechtsteilen abgebrannt. Bei anderen wurden die ältesten Söhne getötet, um die Familienwurzeln zu kappen, oder sie bekamen nichts mehr zu essen, bis ihnen nur noch die Baumwollfüllung ihrer wattierten Jacken blieb, sodass sie zwar satt, aber nackt starben.
Ich war sieben Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg endete. Später in der Schule diskutierten wir oft darüber, warum sich die Deutschen nicht gegen ihren Führer aufgelehnt und warum die Juden ihr Leben nicht energischer verteidigt hatten. Jetzt verstehe ich, wie das passieren konnte, denn auch hier gab es keine Aufstände, Proteste oder Erhebungen. Dafür sind wir zu schwach, zu müde und zu ängstlich. Durch den Hunger hat man uns einer Gehirnwäsche unterzogen, und die Leute glauben immer noch an den Vorsitzenden Mao und die Kommunistische Partei.
Niemand darf ohne schriftliche Erlaubnis die Kommune verlassen. Doch selbst wenn wir wegliefen, wohin sollten wir uns wenden? Es ist ja
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