Tochter des Glücks - Roman
fahre trotzdem nach China, und ich brauche Hilfe.«
»Ah! Alles von vorne! Welche Art von Hilfe brauchen Sie?«
»Nur zwei Dinge. Ich muss Briefe und Geld von meiner Schwester erhalten und ihr zurückschreiben können.«
»Haben Sie das schon einmal gemacht? Nach China geschrieben?«
»Mein Schwiegervater hat mit Hilfe dieser Organisation Geld in sein Heimatdorf geschickt«, antworte ich.
»Nennen Sie mir noch mal Ihren Familiennamen.«
»Ich bin eine geborene Chin. Mein Ehename ist Louie.«
Der Mann geht weg, sucht ein paar Akten durch und kommt mit einer Karteikarte wieder. »Ihre Familie in Los Angeles hat bis zu diesem Monat Geld ins Dorf Wah Hong geschickt.« Mit dieser Information scheint sich seine Haltung zu ändern. »Soll ich Ihnen Geld nach Wah Hong schicken?«
»Da fahre ich nicht hin.«
»In Ordnung. Wir können Ihnen trotzdem Post zustellen, solange Sie irgendwo in der Provinz Kwangtung sind. Unsere Verbindungen reichen bis kurz hinter die Grenze, wie seit über hundert Jahren.«
»Aber ich fahre nach Shanghai.« Joy hat gesagt, sie wolle ihren Vater kennenlernen. Dort muss sie sein.
»Shanghai.« Er verzieht das Gesicht. »Direkt nach Shanghai, das geht nicht. Dorthin haben wir keine Verbindung.«
»Wenn Sie Post an unsere Verwandten in Wah Hong schicken, könnten die sie dann an mich weiterleiten?«
Er nickt, aber ich muss herausfinden, was genau möglich ist.
»Wie funktioniert das?«
»Sie lassen uns von jemandem Geld schicken …«
»Meine Schwester wird Briefe und Geld schicken, vielleicht sogar Pakete. Wir müssen sehen, wie viel Geld das kostet …«
»Und Zeit. Ein Luftpostbrief von den Vereinigten Staaten nach Hongkong geht schnell und ohne Probleme, aber ein Paket mit Luftpost ist quasi unerschwinglich.«
»Das ist mir klar. Ich schreibe meiner Schwester, sie soll Pakete nur per Schiff aufgeben.«
»Wie auch immer. Ich stecke jedenfalls alles, was hier eintrifft, in einen neuen Umschlag – oder eine neue Verpackung – und adressiere es an Ihren Verwandten« – er wirft einen Blick auf die Karte in seiner Hand – »Louie Yun. Ich gebe es einem meiner Männer, der nimmt es mit in den Zug nach Kanton. Von dort aus fährt er nach Wah Hong und überbringt den Brief an Louie Yun, der den Brief dann in einen ganz neuen Umschlag steckt und Ihnen nach Shanghai schickt. Sie müssen Ihren Cousin auf jeden Fall kontaktieren, um ihm zu sagen, was er tun muss …«
Ich möchte eigentlich auf direktem Weg nach Shanghai, sage aber: »Ich kümmere mich darum.« Dann frage ich noch: »Muss das so kompliziert sein?«
»Wenn Sie nur Post bekommen wollen, ist es ziemlich einfach, allerdings kann es sein, dass sie gelesen, zensiert oder sogar ganz konfisziert wird. Wenn Sie Geld empfangen möchten …«
»Ich möchte nicht, dass irgendjemand im Dorf in Schwierigkeiten gerät«, unterbreche ich ihn. »Vor einer Weile bekamen wir einen Brief von einem Verwandten in Wah Hong. Darin stand, dass sie das Geld nicht mehr bräuchten. ›Im neuen China mangelt es uns an nichts‹, schrieb er. Später wurde er bei einem Fluchtversuch getötet …«
Der Mann hinter der Theke schnaubt. »China ist unberechenbar, und die Situation dort ändert sich von Woche zu Woche. Im Moment wollen die Kommunisten sogar, dass die Leute Geld schicken. Sie brauchen das Geld. Sie wollen ausländische Investitionen. Glauben Sie mir, Ihr Geld werden die gerne nehmen.«
»Ich will nicht, dass sie mein Geld nehmen, und ich will auch nicht investieren«, sage ich. »Ich möchte nur sichergehen, dass die Briefe, die abgeschickt werden, auch die beabsichtigten Adressaten erreichen – auf beiden Seiten.«
Ungeduldig hebt er die Hände. »Denken Sie doch nach, Frau Louie! Wenn Sie wollen, dass die einen Teil oder alles von Ihrem Geld nehmen, müssen Sie den Umschlag von Ihrer Schwester einfach nur an Sie direkt schicken lassen und dann nachschauen, was ankommt. Ihre Schwester kann das Geld aber auch in einem Paket verstecken und es über uns an Sie weiterleiten lassen. Wir – und andere Familien- und Bezirksverbände – machen das seit langer Zeit. Wir wissen, was wir tun.«
»Sie schwören, dass meine Verwandten die Briefe meiner Schwester wirklich bekommen und dadurch nicht in Schwierigkeiten geraten?«
»Wenn sie erwischt werden, kommen sie allerdings in Schwierigkeiten!« Das trifft genauso auf May zu, wenn sie Post direkt nach China schickt oder von dort empfängt. »Also sorgen wir dafür, dass niemand erwischt
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