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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Hofhaus gehört hat, in dem du wohnst. Das war alles sein Grund und Boden. Ihm gehörten der Pavillon, das Hofhaus, jedes Gebäude im Gründrachendorf und die Felder, auf denen wir arbeiten.« Er zeigt auf die welligen grünen Hügel. »Daher hat unser Dorf seinen Namen. Es ist wie ein grüner Drache, der durch das Land läuft.«
    Wenn er so geradeheraus sein kann, dann sollte ich das auch sein. Ich sehe mich im Pavillon um. Auf die drei Dachsparren sind Zweizeiler aufgemalt: SEI FREUNDLICH UND WOHLTÄTIG . GÖNNE DIR EINE PAUSE AUF DEM UNENDLICHEN WEG IN DIE ZUKUNFT, UND BEFREIE DEN KOPF VON ALLEN SORGEN .
    »Gönne dir eine Pause auf dem unendlichen Weg in die Zukunft«, lese ich laut vor. »Machen wir das gerade?«
    Tao wirft mir einen Blick zu, den ich nicht verstehe.
    »Tun wir das gerade?«, wiederhole ich.
    »Aber warum sollten wir aufhören?«
    Das höre ich als Amerikanerin. Ich wurde bisher nur von drei Jungen geküsst. Einmal von Leon Lee, dem Sohn von Violet und Rowland Lee, Freunde meiner Eltern. Seit unserer Kindheit planten unsere Eltern, dass wir eines Tages heiraten sollten. Dazu sollte es nie kommen. Leon war zu ernst für mich, und ich wollte nie mein Leben damit verbringen, dem amerikanischen Traum nachzujagen, ein Haus zu kaufen, eine Spülmaschine und einen Rasen zu haben. Joe Kwok und ich haben uns ein paarmal im College geküsst, und ich dachte, wir meinten es beide ernst miteinander. Doch ich musste einsehen, dass es ihm mit nichts ernst war außer mit seiner eigenen Zukunft. Und nun Tao. Ich bin Jungfrau, aber ich kenne die Gefahren. Weiter gehen werde ich auf keinen Fall.
    »Das Schicksal wollte es, dass du in mein Dorf kommst«, sagt Tao. »Das Schicksal wollte es, dass dein Vater Maler ist und mich unterrichtet. Vielleicht will es das Schicksal, dass wir beide zusammen sind.«
    »Ich muss zurück«, murmele ich. »Ich muss meinem Vater helfen.«
    Als ich mich zum Gehen wende, zieht er mich wieder zu sich. Es hat überhaupt nichts Schüchternes, wie er mich hält oder wie er mir mit der Hand unter die Bluse fährt und meine Brust berührt. Das ist mir noch nie passiert, und mein Kopf wird ganz leer. Es fühlt sich gut an. Die Sehnsucht und das Verlangen, die das erweckt, überraschen und beunruhigen mich. Er liebkost meinen Nacken, schiebt das kleine Beutelchen, das mir meine Tante geschenkt hat, mit den Lippen zur Seite. Seine Zunge schießt hervor, schmeckt mein Fleisch, schickt mir kalte Schauer vom Hals bis in die Brustspitzen. Woher weiß er, wie das geht?
    »Besser, du gehst zuerst zurück«, sagt er. Er klingt überraschend heiser. »Ich komme ein bisschen später zur Versammlung, damit niemand Verdacht schöpft.«
    Ich nicke und löse mich von ihm.
    »Wir müssen vorsichtig sein«, sagt er. »Niemand darf es wissen … fürs Erste.«
    Ich nicke noch einmal.
    »Geh jetzt«, sagt er, und ich gehorche.
    Der Politikunterricht und die Malstunde in der Ahnenhalle beruhigen mich nicht, so aufgewühlt bin ich innerlich. Auf der einen Seite ist Dunkelheit in mir, weil ich eine Frau sterben sah, auf der anderen Seite ist das Licht von Taos Berührung. Meine Gefühle sind ein einziges Chaos, aber das erklärt nicht die Aufregung um mich herum. Heute Abend bilden die Männer eine Gruppe. Mit gesenkten Köpfen sitzen sie zusammen und unterhalten sich leise, während sich die Frauen auf der anderen Seite der Halle versammelt haben, die Köpfe hoch erhoben und die Zungen messerscharf.
    »Während der Feudalzeit mussten Frauen ihren Ehemännern folgen, ganz egal, was das hieß«, verkündet eine Frau so laut, dass die Männer es hören können. »Die Ehemänner haben gesagt: ›Eine Ehefrau ist wie ein gekauftes Pony. Ich reite und peitsche sie, wie es mir gefällt.‹ Genossin Ping-lis Mann hat vergessen, dass wir jetzt in der Neuen Gesellschaft leben.«
    »Ping-li war eine Frau, aber zuallererst war sie ein Mensch.«
    »Man erzählt uns, wir würden selbst unser Geschick bestimmen, aber Ping-li war die Sklavin ihres Mannes.«
    Ich bin verblüfft über ihre Wut und all die Anschuldigungen. »War das heute kein Unfall?«, frage ich Z. G., als wir die Pinsel und das Papier sortieren, das Kumei und ich nach dem politischen Treffen austeilen werden.
    Als er mich gereizt ansieht, flüstert mir Kumei zu: »Alle sagen, es war Selbstmord. Genossin Ping-lis Mann hat sie geschlagen. Er hat sie sehr schwer arbeiten lassen. Sie hat oft um die Scheidung gebeten, aber daraufhin hat er sie noch mehr geschlagen.

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