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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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damit ich nicht sehen kann, woran er arbeitet. Das kränkt mich, aber was soll ich tun?
    Wenn der Tag sich neigt, bleiben Tao und ich noch etwas zurück. Wir sammeln die Werkzeuge auf und verstauen sie für die Nacht. Dann machen wir uns auf zum Gründrachendorf. Wir halten nicht Händchen und berühren uns nicht, denn wir wollen nicht, dass uns jemand sieht, der zufällig gerade aus einem Fenster oder einer Tür schaut. Wir gehen zum Eingangstor des Hofhauses, dann daran vorbei, über den kleinen Steg, und eilen den Pfad entlang, der parallel zum Bächlein verläuft, bis wir die Abzweigung zum Pavillon der Wohltätigkeit erreichen. Ich bin kräftiger geworden. Wenn ich jetzt oben am Hügel ankomme, habe ich immer noch genug Atem, um Tao sofort zu küssen. Später gehen wir getrennt auf die politische Versammlung und zum Kunstunterricht in die Ahnenhalle. Wir sitzen nicht mehr nebeneinander, aber ich spüre seine Nähe und weiß, dass wir uns am nächsten Tag heimlich am Pavillon der Wohltätigkeit treffen werden.
    Ich habe zwar den einen Mann in meinem Leben verloren, der mir wichtig war, dafür aber zwei neue und ganz besondere Männer gewonnen. Sie lenken mich ab. Sie faszinieren mich, doch natürlich auf unterschiedliche Weise. Und ein paar Minuten lang, sogar über Stunden, gelingt es mir, die Gedanken an meinen Vater Sam aus meinem Kopf zu vertreiben. Doch einfach ist das nicht. Wenn ich an meinen Dad denke, ist mir klar, dass er nicht froh wäre, mich hier zu sehen. Er würde nicht wollen, dass ich auf dem Feld arbeite, meinen Abortkübel auswasche, mir die Haut von der heißen Sonne verbrennen lasse, oder – und dagegen hätte er die meisten Einwände gehabt – dass ich Zeit mit Tao verbringe, nur zu zweit und über Stunden. Mein Dad hätte das niemals ausgesprochen – er hätte es meiner Mutter überlassen –, aber er wäre sehr enttäuscht von mir gewesen. Er hätte befürchtet, dass ich meine Chancen auf ein echtes amerikanisches Leben, wie er es nannte, zunichte gemacht habe.
    Ich bereue das eher weniger. Irgendwie habe ich das Gefühl, das grelle Sonnenlicht würde meine Vergangenheit wegbrennen und die harte Arbeit meine früheren Fehler ausmerzen. Jede Nacht, wenn ich ins Bett gehe – schmutzig und mit müden Muskeln –, fühle ich mich reingewaschen, und ich kann schlafen. Morgens, wenn die dunkle Bürde der Schuld in meinem Brustkorb – die mich nicht eine Minute losgelassen hat, seit ich gesehen habe, wie mein Vater in seinem Wandschrank an einem Seil hing – aufsteigt und mich zu überwältigen droht, schlüpfe ich in meine Kleider und geselle mich mit einem Lächeln auf den Lippen zu den anderen. Ich kann nicht vergessen, wie mich meine Mutter und meine Tante angelogen und wie sie sich um mich gestritten haben, auch wenn ich mich ihrer Sorgen und Zuneigung letztlich als so unwürdig erwiesen habe. Ja, ich bin den vorwurfsvollen Blicken meiner Mutter und den tadelnden Blicken meiner Tante entflohen, aber vor mir selbst kann ich nicht fliehen. Um mich zu retten, bleibt mir nur, auf dem Feld Unkraut zu jäten, mich von meinen Gefühlen für Tao gefangen nehmen zu lassen und Z. G.s Anweisungen zu folgen, was ich mit Pinsel, Bleistift, Kohle oder Pastell anstellen soll.

T EIL ZWEI Der Hase schlägt Haken

J OY
    Gegen Wind und Wellen
    W ir haben viele Tage geprobt und sind nun so weit, unser Stück über Frauen, das Ehegesetz und das richtige Denken in der Neuen Gesellschaft aufführen zu können. Trommeln, Becken und Hörner rufen die Leute aus ihren Häusern. Knallende, blitzende Feuerwerkskörper verkünden, dass gleich ein Fest stattfindet. Es ist später Sonntagnachmittag. Die meisten Leute hatten den Tag frei und konnten sich ausruhen, ihre Kleider flicken oder mit ihren Kindern spielen. Jetzt kommen alle Bewohner des Gründrachendorfs zu dem Platz, der gleich vor dem Hofhaus liegt, um unsere Vorstellung anzusehen. Fünf kleine Mädchen – sie tragen alle die gleichen Blusen, haben rosa Schleifen im Haar und ziehen lange Papiergirlanden hinter sich her – rennen zwischen den Grüppchen hindurch, die sich gebildet haben. Jungen verteilen Papiertüten mit Erdnüssen oder Wassermelonenkernen, die die Dorfbewohner mit den Zähnen knacken.
    Die improvisierte Bühne im chinesischen Stil hat keinen Vorhang und ist nach allen Seiten hin offen. Die Musiker spielen ihre lärmende Melodie weiter, während einige Männer aus der Akrobatentruppe der Propagandamannschaft über die Bühne springen und

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