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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Parteigeschichte und Parteipolitik?«, fragt Tao.
    »Auf jeden Fall«, stimmt Z. G. ihm freundlich zu. »Das stellt das Rückgrat des Neuen China dar.«
    »Die zweitbeste Kunst ehrt Arbeiter, Bauern und Soldaten«, fügt Tao hinzu.
    »Sie sind das Fleisch unseres Landes«, pflichtet Z. G. ihm bei, aber er ist noch nicht fertig mit mir. »Meine Tochter hat das gut gemacht. Ich glaube,« – er wendet den Blick von den anderen ab und sieht mich direkt an – »meine Tochter ist nicht schlecht. Sie ist überhaupt nicht schlecht.«
    Da habe ich das Gefühl, ich hätte etwas gelernt – endlich.
    Als der Unterricht zu Ende ist, hilft Tao uns, die Malutensilien zurück zum Hofhaus zu bringen. Ich weiß, dass Tao und ich nicht mehr allein sein dürfen, aber ich möchte noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen, bevor ich das Gründrachendorf verlasse. Ich überlege gerade, wie ich es am besten anstelle, Z. G. um Erlaubnis zu bitten, als er sagt: »Seid in einer Stunde wieder da.«
    Tao und ich eilen durch das Tor hinaus, wenden uns nach links und folgen dem Bach bis zu dem Pfad, der hinauf zum Pavillon der Wohltätigkeit führt. Wir haben den Pavillon kaum betreten, da zieht mich Tao in seine Arme. Ich küsse ihn, er küsst mich, alles ist sehr hektisch, übereilt, verzweifelt. Zu lange durften wir einander bei unseren Privatstunden nur über einen Tisch hinweg ansehen, getrennt durch meinen Vater. Bei Z. G.s Malunterricht in der Ahnenhalle mussten wir auf entgegengesetzten Seiten sitzen. Absichtlich sind wir zu unterschiedlichen Zeiten zu den Feldern gegangen, und wir haben uns unterschiedliche Tätigkeiten ausgesucht: Mais ernten oder enthülsen, Reis schneiden und dreschen, Körbe mit Tomaten füllen oder tragen.
    Ich spüre Taos Lippen am Hals, und er macht sich an den Knebelverschlüssen meiner Bluse zu schaffen, doch da weiche ich zurück. Ich atme ein, dann noch einmal. Auch Tao versucht, sich wieder zu fassen. Ich hole noch einmal tief Luft, atme langsam aus und wende mich um, damit ich die Aussicht betrachten kann. Als ich zum ersten Mal hier war, breiteten sich die Felder vor uns aus wie grüner Satin. Jetzt sieht es aus wie Los Angeles um diese Jahreszeit, wenn sich Unkraut, Gras und Gärten hellbraun färben. Ich werde das hier vermissen. Ich werde den Geruch der Erde, die Sonnenuntergänge und die ruhigen Pfade vermissen, die sich durch die Hügel und in die Täler schlängeln. Aber am allermeisten werde ich Tao vermissen. Er steht hinter mir, die Hände auf meinen Schultern, den Mund an meinem Ohr, sein Körper an meinem Rücken.
    »Darf ich dich Ai-jen nennen – Geliebte?«, fragt er. Er hört sich weder ängstlich noch dreist an, ist einfach nur offen und ehrlich. Ich habe schon öfter gehört, wie sich jüngere Ehepaare mit diesem Kosenamen ansprechen. Kann ich wirklich Taos Geliebte sein?
    »Willst du das wirklich?«, frage ich.
    »Ich wusste es schon am Abend deiner Ankunft. Der Vorsitzende Mao sagt, Frauen stützen die Hälfte des Himmels. Wollen wir nicht gemeinsam den Himmel tragen? Mein Haus ist klein, und wir würden bei meiner Familie leben müssen …«
    »Warte!« Ich schüttle den Kopf, denn ich bin mir sicher, dass ich ihn falsch verstanden habe. »Was sagst du da?«
    »Du bist im richtigen Alter. Ich bin im richtigen Alter. Wir sind bis zum dritten Grad nicht blutsverwandt. Keiner von uns hat irgendwelche Krankheiten. Lass uns zum Parteisekretär und seiner Frau gehen und um eine Heiratserlaubnis bitten.«
    Heiraten? Sein Antrag, so es einer war, bewirkt etwas Wunderbares. All meine Sorgen und Erinnerungen sind wie weggeblasen.
    »Wir kennen uns doch kaum«, gebe ich zu bedenken.
    »Wir kennen uns viel besser als die Leute früher während des Feudalismus. Damals begegneten sich Jungen und Mädchen erst an ihrem Hochzeitstag.«
    Doch ans Heiraten habe ich bisher überhaupt nicht gedacht. Trotzdem, hier zu bleiben, eine Million Meilen und eine Million Leben von der Chinatown in Los Angeles entfernt, wo niemand mich oder meine Vergangenheit kennt, das wäre ein Heilmittel gegen die Schuldgefühle und die Scham, die ich mit mir herumtrage, wo auch immer ich hingehe.
    »Wir wollen beide dasselbe – malen, Ackerbau betreiben, die Neue Gesellschaft mit aufbauen«, fährt Tao fort.
    »Das stimmt, ja, aber liebst du mich denn?« Ich bin in Tao verschossen, gar keine Frage. Ich denke unablässig an ihn. Und die Tatsache, dass er für mich in den vergangenen Wochen tabu war, macht ihn nur noch

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