Tochter des Glücks - Roman
Beine übereinandergeschlagen. Er hat seine bäuerlichen Sachen ausgezogen und trägt nun einen Mao-Anzug, in dem er ziemlich elegant aussieht. Ich habe mein Skizzenbuch auf dem Schoß und zeichne die Bruchstücke des Lebens, die wie Postkarten am Fenster vorbeiziehen: ein Schubkarren, der an einer Wand lehnt, ein Kumquatbaum in einem Kübel, ein kleiner Garten, der bis an die Gleise reicht, Leute, die auf Reisfeldern arbeiten. Ich habe nicht viel über zu Hause nachgedacht, seit ich nach China gekommen bin. Ich habe mich sogar sehr darum bemüht, nicht an zu Hause zu denken. Doch während der Zug so über Land tuckert, erinnert mich vieles an Chinatown und all die Menschen, die mich aufgezogen haben.
Ich räuspere mich. Z. G. blickt auf.
»Als ich ein kleines Mädchen war«, beginne ich mit zitternder Stimme, »lebten wir in einer Wohnung.« Er sagt nichts. Ich verstehe das als Aufforderung, weiterzusprechen. »Wir hatten keinen Garten, und ich spielte nicht mit anderen Kindern. Als ich in den Kindergarten kam, besuchte ich dann andere Mädchen zu Hause. Wir lebten in Chinatown, deshalb waren die Gärten klein, aber sie waren voller Cymbidien, Bambus, und hin und wieder gab es eine Pappelfeige. In den Gärten lag auch aller möglicher Unrat herum: gebrauchte Elektrokabel, Kehrschaufeln aus alten Sojasaucendosen und ölige Motoren. Ich dachte, so würden alle leben.«
Ich glaube – ich hoffe –, Z. G. versteht, warum ich ihm das alles erzähle. Ich will dich kennenlernen. Ich will, dass du mich kennst.
»Dann brachte mich meine Mutter immer zur United Methodist Church zum Chinesischunterricht«, fahre ich fort. Er bekommt große Augen. Wahrscheinlich ist es für ihn kaum vorstellbar, dass Tante May ihr Kind in eine Missionsschule schickte, aber ich weiß, was ich sagen muss. »Meine Mutter und meine Tante gingen selbst in der Methodistenmission in Shanghai zur Schule, weißt du nicht mehr? Deshalb hat sie mich dorthin geschickt. Um Chinesischunterricht nehmen zu können, musste ich jedenfalls auch sonntags zum Gottesdienst und in die Sonntagsschule gehen. Eines führte zum anderen, und schon bald luden die Frauen von der Kirche mich und andere Kinder zu sich nach Hause ein, also nach Hancock Park, Pasadena und Beverly Hills …« Als er mich fragend ansieht, erkläre ich es ihm. »Das sind gute Wohngegenden.«
»Was habt ihr denn dort gemacht?«, fragt er.
»Wir haben gesungen, an den Feiertagen gab es Geschenke – für uns arme Kinder – oder manchmal ein Klavierkonzert.«
»Reiche Leute.« Er schnaubt. »Amerika.«
»Dort bestanden die Gärten aus großen Rasenflächen und Rosenbüschen. Ich fand sie seltsam, aber man darf nie unterschätzen, wie merkwürdig die lo fan sein können.«
»Ich erinnere mich noch an sie aus ihrer Zeit in Shanghai«, stimmt er mir düster zu.
»Als ich vierzehn wurde«, fahre ich fort, »zogen wir in ein Haus. Es hatte einen verdorrten Garten, aber meine Mutter hat viel Zeit dort verbracht, hat das Gras entfernt und es durch das ersetzt, was unsere Nachbarn auch hatten: Cymbidien, Bambus, Gemüse und einen Haufen Unrat, den meine Eltern und Großeltern am Straßenrand aufgesammelt hatten.«
»Wenn du arm bist, weißt du nie, wann du vielleicht gebrauchte Elektrokabel oder einen alten Motor brauchen könntest«, sagt Z. G.
Ich sehe ihn an mit seinem schicken Anzug, seiner perfekt geputzten Brille, seiner geschliffenen Art. Woher will er das denn wissen?
»Als ich dann nach Chicago an die Universität gegangen bin …«
»Du warst auf der Universität?«, fragt er. Wohlgefallen, Zufriedenheit, vielleicht sogar Stolz klingen in seiner Stimme mit. Wie kann es sein, dass wir zwei Monate gemeinsam verbracht haben und immer noch so wenig voneinander wissen?
Ich nicke. »Mittlerweile war ich auf so vielen Filmsets gewesen, in all den Häusern bei den Kirchenausflügen und sogar bei ein paar lo-fan -Kindern von der Highschool, deren Eltern ›progressiv‹ waren, das bedeutete, es machte ihnen nichts aus, ein chinesisches Mädchen bei sich zu Hause zu haben. Damals kam ich zu dem Schluss, dass es nicht diese Häuser mit den gepflegten Rasenflächen waren, die mir seltsam vorkamen; seltsam waren vielmehr die Gärten meiner Familie und unserer Nachbarn.«
Z. G. sieht zum Zugfenster hinaus und betrachtet die kleinen Hütten, die direkt neben den Zuggleisen stehen. Er zeigt auf die kleinen Höfe und Gärten.
»So wie die?«, fragt er. »Dort gibt es den Bambus, das Gemüse, den
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