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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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unsere Post funktioniert. Ich habe Geld in den Hut und in die Schachtel gesteckt. Wenn etwas davon fehlt, hat sich irgendjemand unterwegs daran bedient. Die Verwandten in Wah Hong? Die Zensoren?
    Ich werde Dir weiterhin Kleidung schicken. Darin wirst Du versteckte Botschaften und Geld finden. Hast Du Joys Brief schon gelesen? Manches von dem, was sie schreibt, bricht mir das Herz. Vielleicht hast Du sie mittlerweile gefunden. Hoffentlich.
    Ich bemühe mich nach Kräften, das Café zu führen. Es wird noch da sein, wenn Du zurückkehrst. Vern ist sehr traurig und einsam. Die Menschen, die er am meisten auf der ganzen Welt liebte – Sam, Joy und Du –, sind nicht mehr da.
    An seiner Verwirrung merke ich, wie groß sein Kummer ist. Ich mache mir Sorgen um seine Gesundheit.
    Alle in Deiner Kirche beten für Dich und Joy, Pearl. Auch ich bete für Dich, und ich denke jeden Tag an Dich. Die Hauptsache ist, dass wir von Joy gehört haben. Ich hoffe, Du bist genauso erleichtert darüber wie ich.
    Du bist sehr mutig, Pearl. Wenn unsere Joy Dir auch nur ein bisschen ähnelt – und wie sollte es anders sein? –, dann wird sie überleben. Du hast im Lauf der Jahre viel für mich getan, aber ich war noch nie so stolz darauf, Dich zur Schwester zu haben, wie jetzt. Ich empfinde das als Ehre.
    Pass auf Dich auf, alles Liebe
    May
    Ich suche Mays Paket nach ihrem offiziellen Brief durch. Er ist so geschrieben, dass er die Zensur unbeanstandet passieren kann. Es geht darin um unverfängliche Neuigkeiten aus Chinatown, das Wetter und eine Essenseinladung, bei der die Gastgeberin grünen Wackelpudding mit Bananen servierte. In beiden Briefen erwähnt May mit keinem Wort Hollywood, ihr eigenes Geschäft oder irgendetwas über sich selbst. Ich betrachte das nicht als Anzeichen dafür, dass sie sich wie durch ein Wunder geändert hätte.
    Dann widme ich mich wieder Joys Brief und lese ihn mehrmals durch. Er enthält keine Angaben, wo ich sie finden könnte, dennoch bin ich beschwingt, weil ich von ihr gehört habe, froh, dass May und ich miteinander kommunizieren können, und unglaublich glücklich, auch Tante Hu gesehen zu haben. Was für ein Tag, nach der wochenlangen Monotonie!
    Ich stehe vom Bett auf und verstecke das Plakat, das ich gerettet habe, bei den anderen im Wandschrank. Die Fragmente der Augen, Ohren und Lippen meiner Schwester und mir lege ich in ein Kistchen aus Birnenholz unter meinem Bett. Diese Erinnerungen an die Vergangenheit aufzubewahren, ist riskant, aber ich kann nicht anders. Wenn Z. G. sich gerahmte Plakate an die Wand hängen kann, warum soll ich diese Sachen dann nicht in meinem Zimmer aufbewahren? Ich kenne die Antworten nur zu gut: Z. G. steckt vielleicht in Schwierigkeiten, aber er ist trotzdem wichtig, und dieses Zimmer hier gehört nicht einmal mehr mir. Wohin also mit Joys und Mays Briefen? Ich stecke sie erst einmal wieder in den Hut zurück und lege ihn auf ein Regalbrett oben im Wandschrank.
    Der heutige Besuch bei Tante Hu und der kleine Hoffnungsschimmer, den ich von meiner Tochter erhielt, haben mir neuen Schwung verliehen. Ich schlüpfe aus den Arbeitskleidern, lasse den Haufen einfach auf dem Boden liegen und gehe in die Badewanne. Angeregt suche ich noch einmal den Wandschrank und die Kommode durch. Ich wähle einen maßgefertigten Büstenhalter mit einem Slip aus weicher rosafarbener Seide, eingefasst mit handgearbeiteter französischer Spitze. Darüber ziehe ich ein Kleid aus purpurroter Wolle, das Madame Garnett für mich gemacht hat, einst eine der besten Schneiderinnen der Stadt. Das Kleid sitzt perfekt, aber was vor zwanzig Jahren elegant und schön gearbeitet war, ist nun längst aus der Mode. Ich schlüpfe in Pumps aus Alligatorenleder, denen das Alter einen weichen Bernsteinton verliehen hat. Die Seide und die Wolle fühlen sich weich an, nach den rauen Arbeitssachen. Der Jadearmreif hängt kühl und schwer an meinem Handgelenk.
    Als ich wieder nach unten gehe, versuche ich alles aus Joys Perspektive zu betrachten. Ich weiß zwar immer noch nicht, wo sie ist, aber ich bin wieder zuversichtlicher, dass sie hierher zurückkommt, und das bald. Und wenn es so weit ist, soll das Haus gut aussehen. Tante Hu hatte recht; ich hatte es zuvor nur nicht richtig durchdacht. Die Mieter wohnen seit zwanzig Jahren hier, doch von den Habseligkeiten meiner Familie haben sie nichts verkauft oder weggeworfen, soweit ich das sehen kann. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie sich gut um alles

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