Tochter des Glücks - Roman
begehrenswerter.
»Ich würde dich nicht fragen, ob du mich heiraten willst, wenn ich dich nicht lieben würde.« Er lacht mich an. »Und du liebst mich auch. Das habe ich gleich bei unserer ersten Begegnung gesehen.«
Ich möchte Ja sagen. Ich möchte, dass wir uns lieben. Ich möchte, dass wir zusammen sind. Aber so sicher ich mir über meine Gefühle für ihn bin, ich bin noch nicht bereit dazu. Ich habe gerade erst meinen leiblichen Vater kennengelernt, und ich kenne ihn noch immer kaum. Dann ist da auch noch China. Ich bin neunzehn und habe die Chance, etwas zu tun, was nur wenige andere Mädchen tun können. Ich würde gerne Kanton, Peking, Shanghai und das restliche China sehen, so lange ich kann.
»Ja, ich liebe dich«, sage ich, und das glaube ich auch. Ich bin mir sogar sicher. »Aber sollen die Leute im Kollektiv glauben, wir hätten uns zusammen davongeschlichen? Was ist mit deiner Mutter und meinem Vater? Ich glaube nicht, dass deine Mutter bereit ist, mich in ihrem Haus zu haben.« (Das ist eine Untertreibung. Seine Mutter kann mich ganz offensichtlich nicht leiden.) »Und ich bezweifle, dass mein Vater jetzt schon bereit ist, sich von mir zu verabschieden.«
»Wir brauchen ihre Erlaubnis nicht.«
»Ich weiß, aber es wäre wunderbar, wenn wir ihren Segen hätten.«
Er bringt noch ein paar weitere Argumente vor, warum wir sofort handeln sollten, doch nach einer Weile gibt er nach.
»Na gut«, sagt er. »Ich werde warten.«
Dann küsst er mich noch einmal, und ich bin glücklich – richtig glücklich.
»Ich wünschte, du könntest mit mir kommen«, flüstere ich ihm ins Ohr. »Wir könnten uns China gemeinsam anschauen.«
»Ich möchte nur zu gerne weg von hier.« Er klingt hoffnungsvoll und begierig. »Aber ich bräuchte einen Inlandspass, und den habe ich nicht. Vielleicht kann mir dein Vater einen besorgen.«
Der Vorsitzende Mao hat erst im vergangenen Jahr den Inlandspass eingeführt. Die Regierung möchte die Bauern davon abhalten, in die Städte zu strömen, aber der neue Pass verbietet auch Hausierern, Ärzten und Unterhaltungskünstlern – abgesehen von denen, die von der Regierung zugelassen wurden – das Reisen. So bleiben die Dörfer unberührt, doch sie sind auch isoliert. Das gefiel mir mit am besten hier.
»Vielleicht«, sage ich. »Vielleicht.«
Als wir später zurück zum Dorf gehen, sagt Tao: »Ich verspreche dir, dich nicht zu vergessen, aber du musst versprechen, zu mir zurückzukommen.«
Am nächsten Morgen verlassen Z. G. und ich das Gründrachendorf, laufen ein paar Meilen zur Haltestelle und fahren mit dem Bus nach Tun-hsi. Von hier aus geht es nach Huangshan, wo mich die hoch aufragenden Berge und die Kiefern, die kreuz und quer aus den Felswänden wachsen, sehr beeindrucken. Wie viele Künstler vor mir werde ich an die Bedeutungslosigkeit des Menschen im Angesicht der Natur erinnert. Wir kehren nach Hangchow zurück und spazieren um den Westsee herum, so wie auf dem Hinweg ins Gründrachendorf. Doch diesmal nehmen wir uns die Zeit, die zehn Ansichten zu malen, die Kaiser K’ang-hsi vor so langer Zeit genossen hat. Z. G. erklärt mir, dass Hangchow die romantischste Stadt Chinas ist, und das spüre ich. Ich sehne mich nach Tao, und wenn ich male, spüre ich seinen Atem auf der Haut. Aber ich spüre auch, dass sich etwas in mir öffnet … als Künstlerin. Ich weiß, dass ich jeden Tag besser werde.
Anfang November kommen wir in Kanton an, um die Chinesische Exportwarenmesse zu besuchen, die eine Woche dauert. Die Künstlervereinigung möchte, dass Z. G. die Arbeiten vorstellt, in denen er sich so auszeichnet: Propaganda, die China an Chinesen und andere in der Außenwelt verkauft, die dem Regime freundlich gegenüberstehen. Wir schlendern durch die Gänge und sehen uns die Waren an: in China hergestellte Stoffe, Radios, Thermoskannen, Grußkarten und Reiskocher. Ich gehe an 170 unterschiedlichen Traktortypen vorbei. Aus aller Welt sind Menschen gekommen, um Dampfbagger, Autoteile und Füller zu kaufen. Es gibt einfach alles: Haarnetze, Schminke und Spiegel. Aber ist es denn nicht besser, sich die Haare zu praktischen Zöpfen zu flechten, sich von der Sonne die Wangen röten zu lassen und sein Spiegelbild in einem Teich, einem Bach oder einem Wassertrog zu betrachten? Braucht man Plastikknöpfe oder Gummiband, wo doch selbst gemachte Knebelverschlüsse so viel hübscher sind und man sich mit einer einfachen Schnur die Hose ebenso gut um den Bauch binden kann wie
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