Tochter des Glücks - Roman
mit Gummi? Und ganz ehrlich, wozu braucht man einen Traktor, wenn man Seite an Seite mit den Genossen die gleiche Arbeit per Hand erledigen kann? Es heißt, über zweitausend ausländische Geschäftsleute und Überseechinesen besuchen die Messe, und sie kaufen wie verrückt. Zum ersten Mal seit zwei Monaten sehe ich Nichtchinesen, und das berührt mich sehr.
Ich kann es kaum erwarten, vom Messegelände wegzukommen, aber ich war so lange auf dem Land, dass mich das hektische Treiben von Kanton überrascht. Geschäfte – Buchläden, Friseure, Banken, Fotostudios, Schneider und Kaufhäuser – kämpfen um Platz. Es gibt Krankenhäuser, Kliniken, Badehäuser und Theater. Musik, Bekanntmachungen und Nachrichten dröhnen aus Lautsprechern, die es an jeder Ecke zu geben scheint. Der Verkehr ist ein bisschen so, wie ich ihn von meinem kurzen Besuch in Shanghai in Erinnerung habe: Fahrräder, Fahrräder, Fahrräder. Ganze Familien – Mutter, Vater und zwei oder drei Kinder – balancieren auf Lenkstangen und Schutzblechen. Man benutzt auch Fahrräder, um Blechfässer, Pakete und Kisten, Schweine in Körben und große Heuballen zu transportieren, die manchmal den Kopf des Radfahrers um mehr als einen Meter überragen und bis über drei Meter Durchmesser haben können, je nachdem, von wie vielen Bambusstangen sie gestützt werden. Am besten gefallen mir die Fahrräder, auf denen die Mitgift für eine Braut durch die Straße gefahren wird, damit alle sie bewundern können – auch wenn es im Neuen China wohl angemessener wäre, sie als Hochzeitsgeschenke zu bezeichnen. Eine ganze Schlafzimmereinrichtung samt Kopfbrett, Nachttischen, Schminktisch und Kommode ist sehr beliebt, und das alles auf einem einzigen Fahrrad zu sehen, ist ein Spektakel.
An unserem letzten Abend in Kanton klopft Z. G. an die Tür meines Hotelzimmers. (Für mich war es völlig ungewohnt, in den letzten Tagen fließendes Wasser, ein Spülklosett, eine Badewanne und sogar einen Fernseher zu haben.) Er tritt ein, zieht den Stuhl vom Schreibtisch zurück und setzt sich.
»Ich habe jetzt Order bekommen, nach Peking zu fahren«, sagt er. »Ich soll meine Arbeiten bei einem nationalen Kunstwettbewerb einreichen.« Er hält inne. Ich merke, dass er etwas loswerden will. Schließlich spricht er. »Wir sind sehr nahe an Hongkong. Das ist deine Chance, dank der vielen anderen Ausländer hier das Land verlassen zu können. Du könntest versuchen, eine Ausreiseerlaubnis zu bekommen und dann mit der Fähre oder dem Zug mit einer der Delegationen nach Hongkong zu fahren. Von dort aus kannst du nach Hause fliegen.«
Fast breche ich in Tränen aus.
»Willst du mich denn nicht?«
Das hatte ich ihn gefragt, als ich bei ihm zu Hause ankam. Immer noch kenne ich die Antwort nicht. Er ist mein leiblicher Vater, aber wir haben nicht darüber gesprochen. Ich nenne ihn nicht baba oder Dad, und bis auf ein gelegentliches Lob für meine Bilder hat er auch für mich keine freundlichen Worte. Ich bin nicht sein kleines Teigtäschchen, wie mein Vater Sam manchmal zu mir sagte, nicht einmal Pan-di – Hoffe-auf-einen-Bruder –, wie mein Großvater mich genannt hat. Aber ich bin dennoch enttäuscht, dass Z. G. mich wegschicken will.
»Es geht nicht darum, ob ich dich will oder nicht«, erklärt er. »Niemand, der irgendwie wichtig ist, weiß bisher, dass du hier bist. Wenn du mit nach Peking kommst und die Leute von dir erfahren, wirst du nicht mehr nach Hause zurückkehren können.«
Ich denke an alles, was ich gesehen und erfahren habe – das Singen auf den Feldern mit Kumei, die Küsse von Tao im Pavillon der Wohltätigkeit, der Aufbau der Neuen Gesellschaft –, und wäge alles ab gegen das Geheimnis, das meine Mutter und Tante May vor mir verborgen haben, wie sie sich über mich streiten werden, meinen Onkel Vern, der als körperlich und geistig Behinderter für immer an das hintere Schlafzimmer gefesselt sein wird, und das Gesicht meiner Mutter, wenn sie mich ansieht und an den Selbstmord meines Vaters denkt.
»Ich will nicht dorthin zurück«, sage ich. »Mein Platz ist hier.«
Z. G. bemüht sich sehr, mir das auszureden, aber ich will nicht auf ihn hören. Ein Tiger kann stur sein, und ich bin fest entschlossen. Trotzdem ist mir bewusst, dass ich fast weggeschickt worden wäre. Ich muss Z. G. besser kennenlernen, und er muss schätzen lernen, dass er eine Tochter hat.
Als wir am nächsten Tag in den Zug nach Peking steigen, setzt sich Z. G. mir gegenüber, die langen
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