Tochter des Glücks - Roman
Unrat. Allerdings keine alten Motoren oder gebrauchten Elektrokabel. Hier hat niemand Zugang zu solchen Dingen, aber die Leute haben anderes gehortet.«
Er hat recht. Alles Mögliche – zerbrochene Tonkrüge, ein verbogener Fahrradreifen, Reissäcke aus Jute – wurde gesammelt und aufbewahrt. Ich hatte immer gedacht, die Leute in Chinatown würden alles aufbewahren, weil sie die Weltwirtschaftskrise erlebt hatten; jetzt erst sehe ich, dass Hazels Mutter und alle anderen versuchten, Südchina erstehen zu lassen. Z. G. hat mir geholfen, auf rein visuelle Weise etwas über mein Leben zu verstehen, was mir so noch nie zuvor bewusst geworden war.
»Genau so«, sage ich. »Ich hatte den Garten immer als die Domäne meiner Mutter betrachtet, aber sie kam aus Shanghai. Wieso wollte sie einen südchinesischen Garten?«
»Vielleicht war der Garten eine Spiegelung der Gemeinschaft, in der sie gelebt hat, eine Gemeinschaft mit südchinesischen Bauern.«
Wieder hat er recht. Meine Mutter und Tante May waren in Shanghai aufgewachsen, aber mein Vater Sam, meine Großeltern, Onkel und alle unsere Nachbarn waren südchinesische Bauern. Selbst diejenigen, die schon seit zwei oder mehr Generationen in Los Angeles lebten – und von denen manche gebildet waren, gut Englisch sprachen und sich wie Amerikaner kleideten –, waren im Herzen noch südchinesische Bauern. Irgendwie hatten sie eine Vorstellung davon aufrechterhalten, wie bestimmte Dinge aussehen sollten – sie wollten die Üppigkeit Südchinas in der Wüste von Los Angeles wiedererschaffen. Und was noch wichtiger war, sie besaßen immer noch ihre südchinesische Genügsamkeit.
»Ich stamme aus Shanghai«, sagt Z. G., »und May war auf jeden Fall ein Produkt von Shanghai. Du musst diese Gärten im Blut haben, aber du bist auch eine Tochter Shanghais.«
Er sagt das völlig überzeugt, und das macht mich irgendwie glücklich. Ich bin froh, dass ich beschlossen habe, mit ihm zu reden, muss jedoch ständig an die Frau denken, von der ich immer glaubte, sie sei meine Mutter. Ihrem Garten nach zu urteilen, muss sie Erinnerungen an ihr Heimatdorf gehabt haben. Oder ihr Heimatdorf war tief in ihrer Seele verborgen, so wie meine Liebe für das Ländliche durch meinen Vater Sam in mir. Wegen meiner leiblichen Eltern sollte ich durch und durch eine Tochter Shanghais sein, wie Z. G. sagt. Stattdessen fühle ich mich den Menschen draußen vor dem Fenster verbunden: den Bauern Chinas genauso wie den Menschen im Gründrachendorf, den Menschen in Chinatown, meinem Vater Sam, der mich so sehr geliebt hat. Jetzt, hier im Zug, verstehe ich ein bisschen, warum ich Tao liebe. Er erinnert mich an meinen Vater – nicht an den, der mir hier in seinem eleganten Anzug gegenübersitzt, sondern an den, der sich Sorgen machte, wenn ich krank war, der mir besondere Leckerbissen zubereitete, der mir Gutenachtgeschichten erzählte.
In Peking machen Z. G. und ich Ausflüge zur Großen Mauer, zum Sommerpalast und zur Verbotenen Stadt. Mein ganzes Leben schon kenne ich diese Orte aus der chinesischen Schule und von den Fotos und Bildern, die mein Großvater aus Zeitschriften ausschnitt, um sie an die Wand zu hängen. Die Sehenswürdigkeiten sind schön, aber bestimmt ist es im Frühjahr wesentlich angenehmer, wenn es nicht so bitterkalt ist. Abends gehen wir auf Gesellschaften. Z. G. bringt mir bei, wie ich wichtige Leute erkenne. »Ein gewöhnlicher Kader hat einen Füller in der Brusttasche«, erklärt er auf dem Empfang in einem Anwesen neben der Verbotenen Stadt, wo die wichtigsten Mitglieder der Kommunistischen Partei leben und arbeiten. »Ein Kader mit zwei Füllern ist wichtiger. Die wichtigsten tragen gleich mehrere in der Brusttasche. Das sind hohe Funktionäre.«
Z. G. scheint jeden zu kennen. Er hat gute guan-hsi – Beziehungen –, die wie ein Netz funktionieren, das Verbindungen zur Regierung, Familie, Einfluss und Macht miteinander verknüpft. Die Leute freuen sich, ihn zu sehen, besonders die Frauen, die ihm Getränke bringen, sich die Hand vor den Mund halten, um ihr Kichern zu verbergen, wenn er spricht, und sich überhaupt aufführen, als hätten sie noch nie einen Mann gesehen. Wir treffen viele Amerikaner, die nach den sowjetischen Fachkräften die größte Gruppe von Ausländern in Peking bilden. Wir nehmen sogar an einigen Feiern teil, bei denen der Vorsitzende Mao und Premierminister Chou En-lai im Raum ihre Runden machen. Sie nicken Z. G. ein paarmal zu, aber sie kommen nie zu
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