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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Vern. Bitte schreib so bald wie möglich.
    Dann warte ich auf Antwort. Es kommt keine, und das bedeutet, ich muss May nichts über das Plakat mit Joy schreiben, was wiederum zurück zu Z. G. führen würde. Ich muss auch nichts über den Tag schreiben, an dem Joy unangekündigt und zum ersten Mal allein zu Besuch kam. Ich saß da und schaute aus dem Fenster, und da sah ich sie. Sie betrachtete die erste Rose, die am Zaun blühte. Ich freute mich sehr, sie zu sehen, denn ich war überzeugt, in Joy hätte ein grundlegender Wandel stattgefunden. Ich kochte Tee, und wir setzten uns in den Salon. Mit ihrem Besuch wollte Joy mir die Hand reichen, dessen bin ich mir sicher, dennoch plauderte sie nur über Unwichtiges. Sie erzählte mir, sie habe sich bei der Polizei und beim Blockkomitee in Z. G.s Wohnviertel gemeldet. »Das war keine große Sache«, sagte sie. Sie war auch bei der Kommission für Belange von Überseechinesen gewesen und bekam die gleichen speziellen Gutscheine, die auch ich erhalte. »Aber die brauche ich gar nicht«, sagte sie achselzuckend. »Bei Z. G. bekomme ich, was ich will.«
    Während sie sprach, war ich den Tränen nahe, denn manchmal ist es verdammt schwer, Mutter zu sein. Wir müssen warten, warten, warten, bis unsere Kinder uns ihre Herzen öffnen. Und wenn das nicht funktioniert, müssen wir uns die Zeit vertreiben bis zu dem Moment der Schwäche, in dem wir uns wieder in ihr Leben stehlen können und sie uns entdecken und sich erinnern, dass wir die Menschen sind, die sie bedingungslos lieben.
    Ich habe meine Sorgen, aber anderswo geht das Leben weiter. Z. G. hat ein neues Plakat gemalt. Es zeigt Mao – der Vorsitzende hat es sich laut Joy persönlich so gewünscht – in einfachen Hosen und weißem, am Kragen offenem Hemd vor einem simplen Hintergrund. Er sieht aus wie ein wohlwollender Gott – aus dem Volk und für das Volk. Ehrlich, man kann nirgendwohin gehen und nichts tun, ohne sein Gesicht zu sehen. Er ist buchstäblich überall – an Häuserwänden, in Restaurants, in privaten Räumlichkeiten. Angeblich ist dieses Plakat im ganzen Land 40 Millionen Mal verkauft worden. In jedem anderen Teil der Welt würde das Z. G. zu einem äußerst wohlhabenden Mann machen. Hier bekommt er für sich und Joy Privilegien und Einladung zu Partys (der Partei!).
    Und immer noch kein Brief von May. Soll ich ihr noch einmal schreiben oder besser eine Weile gar nichts mehr schicken? Ich weiß nicht, worin das Problem liegt. Für den Fall, dass es mit dem Inhalt meiner Briefe zu tun hat, beschließe ich, etwas Positives über den Großen Sprung nach vorn zu schreiben. Dennoch bin ich vorsichtig, aber das ist einfach. Ich muss nur den Enthusiasmus wiedergeben, den ich über Lautsprecher höre, auf Plakaten sehe oder in den Zeitungen lese. May und ich sind Schwestern. Ich gehe davon aus, dass sie zwischen den Zeilen liest.
    15. Mai 1958
    Liebe May,
    der Vorsitzende Mao, unser oberster Führer, lässt uns wundervollen Zeiten entgegengehen. Er hat sich einen Wahlspruch ausgedacht, den wir alle freudig wiederholen: Ein paar Jahre harte Arbeit, tausend Jahre Glück. Weißt Du noch, wie die Menschen in China Hunger litten? Jetzt wird China ein Land des Überflusses und des Wohlstands. Andere Nationen werden nicht länger auf uns herabblicken. Das werden wir mit Hilfe von »zwei Generälen« erreichen: Landwirtschaft und Stahl. Wenn wir alle hart arbeiten, wird sich bald jeder in Satin und Seide kleiden. Wir werden in Wolkenkratzern wohnen – mit Heizung, Klimaanlage, Telefonen und Aufzügen. Wir werden Freizeit haben, die wir mit unseren Familien verbringen können.
    Ich kann kein Getreide pflanzen, aber jeden Tag helfe ich meinen Nachbarn vor und nach der Arbeit, Stahl herzustellen. Wir sind zufrieden damit, kein Geld dafür zu bekommen, denn wir bauen die Nation auf. In jedem Block steht mindestens ein Hochofen aus grauem Ziegelstein. Die Genossen in unserem alten Haus waren alle einverstanden, unseren letzten Heizkörper zu dem Hochofen unserer Straße zu bringen. Du solltest mich sehen, May. Drei Abende in der Woche arbeite ich am Blasebalg, damit der Ofen weiterbrennt. Kannst Du Dir vorstellen, wie ich Eisen schmelze? So stark bin ich für die Volksrepublik China. Wenn ich nicht am Blasebalg stehe, gehe ich mit gesenktem Blick durch die Straßen. Ich suche alte Nägel, rostige Zahnräder, jedes Stück Metall, das von anderen übersehen wurde. Der Vorsitzende Mao sagt, Stahl ist der Oberbefehlshaber der

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