Tochter des Glücks - Roman
Monat bei Inspektor Wu auf der Polizeiwache und besuche regelmäßig die politischen Versammlungen. Ein- bis zweimal am Tag gehe ich bei Z. G. vorbei, immer zu einer anderen Zeit. Wenn ich als Papiersammlerin gekleidet bin, falle ich Joy und Z. G. nicht auf.
Durch die Fenster beobachte ich das Kommen und Gehen der Dienstmädchen und erfahre viel. Joy schläft lange, frühstückt im Bett, badet ausgiebig, zieht sich an. Gegen Mittag verlässt sie dann mit ihrem Vater das Haus. Sie steigen in eine Limousine des Typs »Rote Fahne«, deren blaue Vorhänge zugezogen sind, damit sie keinen neugierigen Blicken ausgesetzt sind, wenn sie zu Partys oder wohin auch immer gebracht werden. Manchmal sehe ich Joy in Kleidern, die ich kenne. Es sind Kostüme, die May und ich früher bei Sitzungen mit Z. G. getragen haben.
Z. G. und Joy sind nahezu unübersehbar. Sie scheint die Aufmerksamkeit zu genießen. In Los Angeles hing es Sam ewig nach, früher einmal Rikschafahrer gewesen zu sein. In Shanghai ist Joys Vater eine Berühmtheit. Es bedrückt mich, wenn ich sehe, wie sie leben, und ich verstehe nicht, warum Joy nicht gegen die Privilegien rebelliert. Schlimmer noch, sie haben gar kein Interesse daran, mich öfter zu sehen. Doch am meisten tut es weh, dass sie mich offenbar absichtlich ausschließen. Meine Gedanken kreisen ständig um meine Tochter. Ich sehe sie jeden Tag, und doch ist sie in vielerlei Hinsicht immer noch sehr weit weg.
Dann geschieht etwas, wovon ich May berichten muss. Ich mache mir Sorgen, dass es die Behörden auf den Plan ruft, wenn ich so viel Post nach Wah Hong schicke. Doch May muss das hören.
20. März 1958
Liebe May,
heute ist Joys zwanzigster Geburtstag. Ich habe sie eingeladen, bei uns zu Hause zu feiern. Ich habe Koch sogar gebeten, ein paar unserer Lieblingsgerichte von früher zuzubereiten – gedämpften Aal, Garnelen mit Wasserkastanien und Acht-Schätze-Gemüse. Aber das Ganze war eine einzige Katastrophe. Du und ich, wir haben unser Haus immer geliebt, doch es sieht nicht mehr so aus wie früher. Wie ich Dir schon schrieb, habe ich in den vergangenen Monaten einige unserer alten Möbel aus Leihhäusern zurückgekauft. Jedes Mal, wenn ich etwas entdecke, habe ich das Gefühl, ich würde alles wiedergutmachen. Aber wie hat Joy sich das alles angesehen? Ich fühlte mich geistig sehr arm. Und was habe ich mir dabei gedacht, als ich Koch bat, für uns zu kochen? Das Essen war verkocht und geschmacklos. Wie soll ein mittelmäßiges Mahl in unserem alten Esszimmer es mit den Banketten aufnehmen, an denen Joy teilgenommen hat?
Ich muss Dir noch einmal sagen, dass sie gut aussieht. Sie durfte zur besten Schneiderin der Stadt gehen. Die Frau ist keine Madame Garnett, aber was sie für Joy genäht hat, ist weit eleganter als die übliche Kleidung, die ich hier auf der Straße sehe. Vielleicht kann sie doch noch ein bisschen von dem Shanghai erleben, das wir geliebt haben, zumindest von dem, was noch davon übrig ist.
Es ist kaum mehr als ein Monat vergangen, aber ich warte immer noch auf den Moment, in dem Joy sagt: »Mom, bring mich nach Hause.« Ich fürchte, davon sind wir weit entfernt. Es hilft nichts, dass ich glaube, sie ist verliebt. Sie hat mir nicht viel von diesem Tao erzählt, aber wenn sie von ihm spricht, färben sich ihre Wangen hübsch rosa, und ihre Augen glänzen. Bestenfalls kann ich sagen, dass Joy und ich einen Waffenstillstand geschlossen haben, der uns beiden nicht ganz geheuer ist.
Liebe Grüße, Pearl
Wieder schreibe ich ihr nichts von Z. G. Ich erzähle May nicht, wie sorgsam er Joy am Ellbogen gehalten hat, als er sie durch mein Haus führte. Ein paarmal sah es aus, als würde sie gleich fliehen – zum Beispiel, als sie den Schmutz in der Küche bemerkte, den ich immer noch nicht wegputzen konnte, als sie Plakate von meiner Schwester und mir im Schlafzimmer hängen sah und als sie Koch kennenlernte. Z. G.s Knöchel färbten sich weiß, während er sie festhielt. Ich frage mich, was er wohl vorher zu ihr gesagt hat und danach, als sie gegangen waren.
Von May erhalte ich keine Antwort auf meine letzten beiden Briefe. Wurden sie abgefangen? Wird man mich verhaften? Hatte May zu viel zu tun, um zu schreiben? Oder wird sie zermürbt von Gram, Trauer und Schuldgefühlen? Das kenne ich. Ich warte einen Monat, dann schreibe ich ihr eine kurze Nachricht:
Ist alles in Ordnung? Hast Du meine Briefe erhalten? Falls nicht: Ich habe Joy gefunden, und ich bin sehr traurig wegen
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