Tochter Des Krieges
wurde und seine eigenen Gewänder in gutem Zustand waren, um einen zügigen Ritt im Frühwinter durch möglicherweise feindliches Gebiet zum Hafen von La Rochelle überstehen zu können. Er verabschiedete sich von Raby, der den schwarzen Prinzen begleiten würde, und betete auch zum heiligen Michael in einer der Kapellen Chauvignys… aber die Aufregung der Vorbereitungen trieb ihn bereits nach einer Stunde wieder hinaus.
Er würde nach Hause zurückkehren!
Thomas hätte nie gedacht, dass ihn das so aufwühlen würde. Der Weg, der vor ihm lag, erschien ihm nun so klar.
Er besaß den Schutz und die Unterstützung der mächtigsten Männer Englands… aber vor allem kehrte er in seine Heimat zurück.
Thomas konnte es kaum erwarten, England wiederzusehen.
Er hatte sich zwar ausschließlich Gott geweiht, aber etwas an dem Gedanken, nach England zurückzukehren, erfüllte sein Herz noch mit einer ganz anderen Freude, trotz all der Gefahren, die dort möglicherweise auf ihn lauerten.
Im Gegensatz zu Thomas fühlte sich Margaret angesichts ihrer Rückkehr nach England eher unsicher, wenn auch nur deshalb, weil sie nicht wusste, was sie dort erwarten würde. Bei Tagesanbruch an der Vigil zum Fest des heiligen Andreas, dem Tag, an dem Lancaster und sein Gefolge endgültig abreisen würden, stand sie in einen Umhang mit Kapuze gehüllt auf den Zinnen Chauvignys, betrachtete das kalte und trostlose Land, das sich vor ihr ausdehnte, und fragte sich, ob ihre Zukunft in England genauso trostlos sein würde. Sie war seit einem Jahrzehnt nicht mehr zu Hause gewesen… oder noch länger, denn Rogers Haus mit seinen kühlen und abweisenden Eltern konnte man kaum als Zuhause bezeichnen.
Nein, sie war nicht mehr »zu Hause« gewesen, seit sie das Haus ihres Vaters verlassen hatte, und das war viele Jahre her.
Ihr »Vater«. Er war nicht ihr wirklicher Vater gewesen; dieser hatte sie und ihre Mutter verlassen, noch bevor Margaret geboren war, aber er war der einzige Mann, den sie jemals als Vater gekannt hatte. Er hatte ihre Mutter geheiratet, obwohl sie das Kind eines anderen Mannes in sich trug, und sich von Herzen über Margarets Geburt gefreut. Margarets Augen füllten sich mit Tränen. Er war schon so viele Jahre tot, und in diesem Augenblick, im kalten Wind, der über die frühwinterlichen Felder wehte, hätte Margaret alles darum gegeben, seine Arme um sich zu spüren und seine beruhigende Stimme zu hören.
Wann würde sie sich jemals wieder geborgen fühlen? Es gab einige, die sich um sie sorgten, aber sie mussten sich notwendigerweise von ihr getrennt halten und durften sich nicht zu erkennen geben, und ihre Gesellschaft spendete Margaret keinen Trost, denn es war nur hie und da ein Augenblick.
Margaret seufzte und legte die Hand auf den Bauch. Sie war bereits im fünften Monat, mehr als die Hälfte der Schwangerschaft lag hinter ihr. Wenn sie dieses Kind in den Armen hielt, würde sie es niemals wieder loslassen, es sich von niemandem wegnehmen lassen, es niemals verlassen. Sie wusste sehr gut, wie es war, ein ungeliebtes Wesen zu sein, und sie würde ihr Leben dafür geben, ihrem Kind diese Trostlosigkeit zu ersparen.
Wenn sie es jemals in den Armen halten würde. Wenn.
Wenn sie die Geburt überlebte.
Wenn sie alles überlebte, was vor ihr lag. England würde der Schauplatz der letzten Schlacht sein, dessen war sie sich sicher.
Fühlten sich so die Ritter, bevor sie in den Kampf zogen? Traurig und ein wenig verloren, während sie sich fragten, ob sie das Richtige taten? Es konnte so viel gewonnen werden und so viel verloren, wenn etwas schiefging.
Und bei einem Mann wie Thomas konnte einiges schiefgehen.
»Thomas, Thomas«, flüsterte sie in der Morgendämmerung, »was werdet Ihr tun? Welche Wahl werdet Ihr treffen? Wofür werdet Ihr Euch entscheiden? Für die Liebe oder für Euren furchtbaren Gott?«
ENGLAND
»So mag denn alls nicht frommen.
Und muss es endlich darzu kommen,
Und will dein Sinn nicht wenken,
So musst du anders dich bedenken.
Oh, nicht mit dir darf Grete gehn.
Ich sag, wie’s um mich muss stehn:
So sterb ich, lieber Mann, dein Grete
Erzeiget gar im Tod dir treue Stete.«
Ein Lied (für Margarethe)
Mittelalterliche englische Ballade
Kapitel Eins
Der Freitag in der Oktave der jungfräulichen Empfängnis
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III
(10. Dezember 1378)
La Rochelle war eine kleine, den kalten Winden ausgesetzte
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