Tochter Des Krieges
hatten. Vom unerfahrenen jungen Soldaten bis hin zum gefangenen König waren alle erschöpft, übellaunig und litten unter Erkältungen, schmerzenden Muskeln, schwieligen Händen und von der Kälte starren Gliedmaßen.
Margaret sah aus, als sei sie dem Tode nahe. Sie schwankte besorgniserregend im Sattel, die Augen in ihrem blassen Gesicht geschlossen, ihr Mund vor Elend zusammengepresst, während sie sich mit den Händen am Sattelknauf festhielt und die Zügel lose am Hals ihres Zelters herabhingen. Es sah aus, als würde sie nur deshalb im Sattel bleiben, weil ihre Muskeln in dieser Haltung erstarrt waren.
Thomas beobachtete sie wachsam. Er glaubte, dass sie ihr Elend nur vortäuschte. Doch warum? Hoffte sie, dass er sich vorbeugte und sie auf seinen Sattel hob? Glaubte sie, dass die Berührung ihrer beiden Körper, schwankend und schlingernd während des wilden Rittes, in ihm unbezähmbares Verlangen erweckte? Hoffte sie, sein Mitleid zu erregen, das sie dann in Liebe verwandeln konnte?
Plötzlich, während die Hufe der Pferde über die ersten Pflastersteine der Straße nach La Rochelle klapperten, schrie Margaret leise auf und schwankte so gefährlich im Sattel, dass es schien, als würde sie schließlich doch zu Boden fallen und von den Hufen der nachfolgenden Pferde niedergetrampelt werden.
Thomas wandte das Gesicht ab. Er würde ihr nicht gestatten…
»Thomas!«
Er blickte hoch. Bolingbroke, in ein Kettenhemd und eine nasse, dicke Tunika gekleidet, war mit seinem Streitross zu Margarets Zelter hinübergeritten und hatte sie vor sich auf den Sattel gehoben. Sie verlor das Bewusstsein, und Thomas sah, wie sich Bolingbrokes Körper anspannte, während er versuchte, sie festzuhalten und zugleich sein Pferd zu bändigen, das wegen des unerwarteten zusätzlichen Gewichts scheuen wollte.
Sobald Bolingbroke es beruhigt hatte, warf er Thomas einen wütenden Blick zu. »Warum hast du ihr nicht geholfen, Thomas? Schau doch!«
Er wies mit dem Kinn nach unten. Margarets Umhang war aufgefallen und der Regen ließ ihr graues Kleid an ihrem Körper kleben. Ihr runder Fünfmonatsbauch trat deutlich hervor.
»Sie ist schwanger!«, sagte Bolingbroke. »Sie braucht deine Hilfe, Thomas, nicht deine Missbilligung! «
Damit gab er seinem Pferd die Sporen und zog Margarets Umhang wieder über ihren Körper.
Thomas’ Miene erstarrte, das aufkommende Gefühl der Schuld, dass er ihr hätte helfen sollen, ärgerte ihn, und er machte Margaret dafür verantwortlich.
La Rochelle erwachte gerade erst, als Lancasters Zug in die Stadt einritt. Sie war eine der wichtigsten Hafenstädte an der französischen Küste und von den Engländern – die das Gebiet um die Stadt seit ein oder zwei Jahren besetzt hielten – für einen Notfall wie diesen gut ausgerüstet und versorgt worden. Obwohl es keine Unterkunft für den gesamten Zug gab, der aus mehreren tausend Menschen bestand, konnten die meisten Männer in Lagerhäusern in der Nähe des Piers untergebracht werden, während der hohe Adel, der mürrische König und die Frauen in einigen Gasthäusern eine Unterkunft fanden.
Neun Koggen schaukelten im grauen Wasser am Pier. Die unförmigen Gefährte waren Handelsschiffe und wurden dazu eingesetzt, Güter von den Mittelmeerhäfen in die nördlichen Gewässer Europas zu transportieren. Obwohl sie nicht gerade schön waren und schwierig zu steuern, waren sie sehr geräumig und verfügten über viel Platz für Männer und Pferde. Lancaster verschwendete keine Zeit und handelte einen guten Preis für Überfahrt und Verpflegung aus – auch wenn man seine Drohungen eigentlich kaum als Handeln bezeichnen konnte –, und die Koggen sollten in zwei Tagen bereit zum Übersetzen sein. In der Zwischenzeit würden sich alle ausruhen, und auch Lancaster schien endlich aufzuatmen. Seine Späher berichteten ihm, dass das Gebiet in einem Umkreis von etwa fünfzig Meilen abgeriegelt war und keine größere Streitmacht ungesehen nach La Rochelle gelangen konnte.
Zur Mittagszeit, während überall auf dem Pier Männer schwere Proviantbündel aus der Stadt auf die Koggen brachten, zogen aus südwestlicher Richtung dunkle Wolken herauf. Dann kam ein heftiger Wind auf, der Wellen mit Schaumkronen weit über den Pier schleuderte und acht Männer ins Meer hinausspülte. Im nächsten Moment prasselte Hagel vom Himmel herab, und da ließen die Männer ihre Bündel fallen und flüchteten.
Der Wind hielt vier Tage lang an und entwickelte sich bereits
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