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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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fortzukommen.
    Sophia selbst fühlte sich von Gottes Zorn getroffen, als ihr Mann starb und die Kinder noch klein waren. Sie hatte sich vor Gott gedemütigt, hatte ihr Haar abgeschnitten und ihren Kopf vor dem Herrn entblößt, um ihre Bußfertigkeit zu zeigen. Sie hält noch immer das Fasten ein und beichtet bei Vater Thomas, obwohl sich mit den Jahren eine gewisse Trägheit und Treulosigkeit in ihr Verhältnis zum Herrn geschlichen hat. Trotzdem hat Gott die Hand über ihr Haus und ihre Anverwandten gehalten. Er schickte ihr einen Verwalter, der sie gut beraten hat. Ihre Kinder sind gesund, und ihr Reichtum ist größer als zu Lebzeiten ihres Mannes. Den Willen des Herrn kann niemand verstehen, und sie weiß, sie sollte nicht darüber nachsinnen. Aber es ist schwer, den Gedanken daran loszulassen, warum Gott seinen Finger auf Hildeberts Familie gerichtet und ihn gestraft hat, indem er seine Kinder nimmt und ihm ein unglückliches Weib gibt. Ab und an wird sie von dem bitteren Gedanken ergriffen, sie könnte mitschuldig sein. Den Mann einer anderen Frau zu begehren ist eine unverzeihliche Sünde, das weiß sie, aber es gibt einen Weg aus der dunklen Reue, sie ist ein Fuchs oder ein Maulwurf, der sich Erde aus dem Fell schüttelt und die Schnauze ins Freie steckt, während sie den Eingang sorgsam mit Entschuldigungen und Ausreden verschließt: Es war Hildebert, der zu ihr kam, beim ersten Mal, und der Herr hat ihr keinen anderen Mann geschickt. Sie war es, die Hildebert zuerst geliebt hat, sie begegnete ihm beim Herzog, lange bevor er sich mit Mechthild verheiratete.
    Das nächste Mal, wenn Hildebert zu ihr kommt, wird sie versuchen, ihm zu entlocken, was es mit dem Kind auf sich hat. Aber die Wochen vergehen, ohne dass er sich zeigt. Meinhardt berichtet, er sei mehrere Wochen nicht in Sponheim gewesen, und obwohl Sophia weiß, dass der Herbst in Bermersheim genauso viel Arbeit mit sich bringt wie in Sponheim, kann sie ihre Besorgnis nicht dämpfen. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dass sie es sich so zu Herzen nehmen müsste, das weiß sie gut, aber es hilft nicht. Hildebert kommt, wenn es ihm passt, so ist es jahrelang gewesen. Auch wenn sie sein Vertrauen hat, kann sie keine Ansprüche an ihn stellen. Es gibt nichts, das sie zusammenbindet, nichts anderes als die Ketten, die von einem Herzen zu einem anderen wachsen können.
    Sophia findet keine Ruhe. Sie kommandiert den Verwalter herum und reitet selbst hinaus, um die Erntearbeiten zu inspizieren. Drinnen schimpft sie die Mädchen aus und weist sie unaufhörlich an, das Stroh in ihrer Kammer zusammenzufegen und neues auszulegen. Ihre Unruhe über Hildebert und seine sonderbare Tochter ist ein Felssturz, der Erde und Stein durch alles schleudert, was sie denkt und tut. Es trifft auch Jutta, über die sie bei den Mahlzeiten streng wacht. Wenn Meinhardt nicht zu Hause ist, thront Sophia in seinem Stuhl mit der hohen Rückenlehne am Kopf des Tisches und zählt die Löffel vor, die Jutta von ihrem Essen nehmen muss. Dass ihre Tochter der Welt entsagen will, hat sie verstanden, aber seinen eigenen Körper bis zum Verfall auszuhungern muss eine größere Sünde als die Völlerei sein.
    Sie essen schweigend, wenn Meinhardt nicht zu Hause ist. Selbst das Gesinde schaufelt das Essen stumm in sich hinein, bedrückt von Sophias donnerndem Schweigen. Meinhardt ist oft beim Herzog, doch es gehen auch Gerüchte um, er sei ein Zechbruder und ein Hurenkerl. Die ersten Male tat Sophia es als törichtes Gerede ab, aber wenn ihr wieder und wieder die gleichen Geschichten zu Ohren kommen, sind sie schwer zu überhören. Es ärgert sie auch, dass mehrere junge Männer, die gehofft hatten, mit Jutta eine gute Partie zu machen, zu Meinhardt gesagt haben, sie schätzten sich nun glücklich darüber, dass es nicht zur Ehe gekommen sei. Obwohl Sophia ob solcher Aussagen wütend ist und sich gekränkt fühlt, scheint Meinhardt es seelenruhig hinzunehmen. Treu erzählt er es ihr, als seien es gleichgültige Scherze, und er verteidigt seine Schwester nicht. Sie werden schon Ruhe geben mit der Zeit, sagt er nur, wenn Sophia ihn ermahnt und nicht begreifen kann, dass er die Ehre der Familie so leichtnimmt.
    Als die Gerüchte über sein unsittliches Gebaren im Hurenhaus in Mainz schneller laufen als sein eigenes Pferd, verliert Sophia die Geduld. Er ist gerade erst auf den Hofplatz geritten, als sie ihm entgegengeht. Entlang der rechten Schläfe hat er ein halbmondförmiges Mal, und

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