Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
dem verschlissenen Lappen über die Stirn wischt, der inzwischen weder warm noch kalt ist und die Haut unerträglich kratzt.
»Hildegard«, erklärt Hildebert barsch.
Etwas krümmt sich in ihr bei dem Gedanken, dass das Kind einen heidnischen Namen haben und nach seinem Vater benannt werden soll. Nie widerspricht er ihrem starken Glauben, und niemand könnte ihn beschuldigen, er würde Gott nicht fürchten. Dennoch spürt Mechthild einen Splitter in seinem Herzen, eine Dunkelheit, die sich in seinen Pupillen ausbreitet, jedes Mal, wenn sie über Vater Cedric und ihren Verpflichtungen gegenüber der Kirche spricht. Hildeberts Trotz kann niemand durchschauen, nicht einmal sein Eheweib. Sein verwirrtes, fieberheißes Eheweib, das Erscheinungen hat und in seiner schwindenden Vernunft den Teufel zwischen sie treten und Unfrieden stiften sieht. Trotzdem weiß sie, dass Margaretha besser gewesen wäre, Hildegard ist ein kriegerischer Name, der nach Schwert und eisenbeschlagenen Rädern auf Kopfstein klingt, wie Frost und Feuer, die niemals eins werden können.
Hildebert nimmt den nackten Säugling. Das Mädchen strampelt nicht, liegt nur still auf seinem Arm. Ursula reicht ihm die Schale mit dem dampfenden Wasser. Sie überwacht seine Bewegungen genau, um sicherzustellen, dass alles richtig zugeht. Mit diesem Würmchen von einem Kind kann es zwar ganz gleich sein, denkt sie, aber wenn die Kleine stirbt, hat sie es ja noch dringender nötig, von den Sünden der Vorväter durch die Taufe reingewaschen zu werden. Mit dem Kind in den Armen, schwerfällig wie ein Bär, kniet er da, stützt sich gegen den Bettpfosten und vermeidet es, Mechthild anzusehen, die unrein im Bett liegt. Er betet laut, und hinter seiner eigenen hört er Mechthilds Stimme, die nur einzelne Worte zustande bringt: Pater Nostra … sanctificetur … debitoribus … ne … tentationem .
Danach reicht er das bläuliche, schmierige Kind an die junge Kristin, die nicht weiß, wie sie die Arme halten soll, um es zu nehmen. Sie starrt es mit einem Ausdruck von Schrecken und Ekel an, der Hildebert das Blut in die Wangen treibt.
»Gans«, zischt er, und Kristin steigen Tränen in die Augen. Ursula schiebt sich zwischen sie, nimmt das Kind und reicht es weiter an die kleine Agnes, Tochter einer der Frauen aus dem Dorf, die zur Pflege des Kindes herbeigerufen wurde. Mit einer Handbewegung gibt sie Hildebert ein Zeichen, er könne gehen. Er zögert einen Augenblick, weiß aber, dass er am Kindbett nichts weiter zu tun hat. Es ging nur darum, zu vermeiden, dass das Kind von einer Frau getauft werde. Unbedacht wirft er die schwere Tür mit Wucht hinter sich zu, sodass das Kind zusammenzuckt. Beschämt und wie von Sinnen weint Kristin, sie kann die Tränen nicht zurückhalten, obwohl sie weiß, dass ihrer Mutter die Flennerei nicht gefällt. Dass sie Angst vor Hildebert hat, ist zu verstehen, dass sie es nicht wagte, das kleine Kind zu berühren, ist schlimmer. Doch ausnahmsweise lässt Ursula das Mädchen zufrieden. Sollte sich das Neugeborene entscheiden zu sterben, ist es doch wohl das Beste, es geschieht nicht in Kristins Armen. Es könnte sich auf Kristins ungeborenes Kind übertragen, und es gibt keinen Grund, dem Teufel mehr zu geben, worüber er sich hermachen könnte.
Die kleine Hildegard hat große, glänzende Augenlider, und das sparsame Haar klebt ihr am Schädel. Auch die Wangen und Ohren sind mit durchsichtigen Haaren bedeckt, und die Nägel sehen dünner und zerbrechlicher aus, als es bei einem Säugling der Fall ist, der zur rechten Zeit geboren wurde. Sie ist nicht gesund, aber sie lebt. Agnes bekommt Bescheid, die Wiege nicht in den dunkelsten Winkel zu stellen, was unter anderen Umständen für die Augen des Kindes das Beste wäre, sondern direkt vor die Feuerstelle, sodass das Blut im Körper des Kleinen schneller fließen kann.
Zuerst drückt und presst Ursula auf Mechthilds Bauch, um sich zu vergewissern, dass nicht noch mehr darin ist. Dann setzt sie sich auf die Bank an der Wand. Eine kleine Schar Hausmädchen von den umliegenden Großhöfen hat den ganzen Tag über hier gesessen und Wache gehalten und alles verfolgt. Jetzt flüstern sie leise miteinander. Obwohl Ursula von der Fähigkeit ihrer Schwägerin beeindruckt ist, gute Mägde um sich zu versammeln, sogar an einem so öden Flecken wie Bermersheim, ist sie ganz entschieden nicht in der Stimmung, sich zu unterhalten. Es gefällt ihr nicht, dass Hildebert gerufen wurde, bevor
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