Tochter des Ratsherrn
Jeder, der sich nun zu Wort meldete, musste mindestens genauso verrückt sein wie die beiden Hofnarren. Die Laune der Grafen war sichtlich getrübt. Plötzlich stand einer der Männer auf – es war Johannes vom Berge.
»Mein Fürst, ich selber habe mich noch nicht davon überzeugen können, doch man hört, dass es einen Nuncius unter uns gibt, der im Herzen ein Spielmann ist.«
Walther schaute abrupt zu Albert hinüber, der seinen Feind mit verengten Augen musterte. Was hatte Johannes vor?
»So?«, fragte der Graf knapp. »Dann sagt mir, wo befindet sich dieser Mann, und wie ist sein Name?«
Sogleich zeigte Johannes vom Berge tatsächlich auf den verdutzten Walther und verkündete: »Sein Name ist Walther von Sandstedt, und er sitzt genau hier.«
Nur einen winzigen Moment später wurde Walther von Graf Johann II. aufgefordert, eine Minne vorzutragen. Sein Ton ließ keinen Widerstand gelten.
Walther konnte kaum glauben, was gerade geschah. Es bestand kein Zweifel daran, dass Johannes vom Berge nur eines im Sinn hatte: Albert Schaden zuzufügen. Es war ihm gleich, ob der Graf gut unterhalten wurde, er hoffte nur, dass sein Feind durch Walthers mögliches Versagen vielleicht in Ungnade fiel. Schließlich brauchte es nicht viel, um genauso zu enden wie der bedauernswerte Minnesänger, der noch immer blutend und ohnmächtig auf dem Boden lag. Alles würde jetzt davon abhängen, wie gut Walther seine Minne vortrug.
Als die Musik zu spielen begann, schloss Walther die Augen. Noch nie zuvor hatte er vor einem derart erlauchten Publikum gesungen. Er hätte sich fürchten müssen vor dem, was nun folgen sollte, doch das Minnespiel und die Dichtkunst waren ihm einfach zu vertraut, um ihn zu ängstigen. Obwohl seine Knie weich und seine Hände feucht waren, erklang seine Stimme so hell und klar wie der Ton der Domglocken. Da er keine höhere Minne zur Verehrung der Grafen kannte, sang er kurzerhand eine niedere Minne, die eigentlich zur Verehrung von Frauen gedacht war, und dichtete die Worte um. Nun kamen ihm die vielen Stunden zugute, die er darauf verwendet hatte, sich Reimverse zu erdenken. Die Klänge der Harfe und der Fidel verschmolzen mit seiner Stimme, und es dauerte nicht lange, da schlug er alle durch seine geschickte Dichtkunst in den Bann.
Als er geendet hatte, waren seine Augen noch immer geschlossen, doch nachdem er die ersten Rufe vernahm, öffnete er sie langsam. Dann sah er zu den Grafen hinüber.
In ihren Gesichtern war Wohlwollen zu lesen. Graf Johann II. war der Erste, der zu klatschen begann, und kurz darauf fielen die anderen mit ein.
Walther konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Galant verbeugte er sich vor seinem Publikum, dann noch einmal vor der Ehrentafel. Er war überglücklich.
»Wohldann. Eine gelungene Darbietung, Walther von Sandstedt. Mir scheint, wir teilen eine Leidenschaft.« Johann II. war sichtlich erfreut. »Ich denke, Ihr habt tatsächlich das Herz eines Spielmanns. Eines sehr begnadeten Spielmanns, würde ich sogar sagen!«
Nach diesen Worten gab es für die beiden Hofnarren kein Halten mehr. Wie von Sinnen sprangen sie um den Grafen herum. Sie klatschten und schrien und sammelten allerlei Dinge vom Boden auf, mit denen sie sich bewarfen. Niemand würdigte sie eines Blickes, denn alle waren damit beschäftigt, ihre Becher auf den strahlenden Walther zu erheben. Plötzlich bekam einer der Narren ein abgekautes Hühnerknöchelchen zu fassen, das wohl einer der Hunde liegen gelassen hatte. Es war in der Mitte gebrochen und wies ein spitz gezacktes Ende auf. Der Hofnarr achtete nicht darauf, für ihn zählte nur, dass er die Männer im Saal fortwährend am Lachen hielt. Und so nahm er das Knöchelchen und warf es mit einer schnellen Bewegung nach dem anderen Hofnarren, der direkt hinter Graf Johann II. stand.
Was darauf folgte, waren der spitze Schrei eines Mannes und die Entsetzensrufe jedes weiteren Anwesenden. Als der Hofnarr begriff, was er getan hatte, war ihm klar, er war des Todes!
Die Stadt kam nur langsam zur Ruhe. Was mit dem Fest auf dem Kunzenhof friedlich und in Eintracht begonnen hatte, endete mit einem großen Unglück.
Der ungeschickte Hofnarr hatte Johann II. mit seinem Wurf ein Auge ausgestochen. Nun erwartete ihn eine grausame Hinrichtung.
Doch so tragisch und bedauerlich der Vorfall auch war, er hätte unter anderen Umständen nicht zur Spaltung führen müssen. Allein die Tatsache, dass der Narr vom Hofe Gerhards II. war, schürte einen bösen
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