Tochter des Ratsherrn
Priester von Walther erzählt?«
»Ja. Ich habe ihm gesagt, dass Walther lebt und nicht bei seiner Reise mit Thiderich ums Leben gekommen ist, wie er natürlich vermutet hatte. Nachdem ich Walthers Namen genannt hatte, war es zunächst schwierig, ihn zum Zuhören zu überreden. Zunächst wollte er mir keinen Glauben schenken, fast hätte er mich sogar fortgejagt. Ich war schon dabei, das Dorf zu verlassen, als er mir doch noch hinterhergekommen ist. Ich habe ihm alles erzählt. Von dir und Freyja und Thymmo. Anfangs fluchte er nur wütend vor sich hin, doch später war er dankbar, dass er nun über Walthers Verbleib Bescheid wusste.«
»Ich kann ihm seinen Zorn nicht verdenken«, sagte Runa. »Kein Mann gesteht sich gern ein, dass ihm sein Mündel davongerannt ist. Aber sag mir, Godeke: Hat er dir bloß zugehört, oder hat er dir auch mitgeteilt, was ich zu erfahren wünschte?«
»Was deine Fragen angeht, so glaube ich, muss ich dich enttäuschen, liebste Schwester. Als ich mich erkundigte, woher Walther kommt und wer seine Eltern sind, wiederholte er nur immerzu diesen einen Satz: ›Gott hat ihn eines Tages zu mir geführt! Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.‹«
Runa ließ unzufrieden den Kopf hängen.
»Ich weiß, du hast dir mehr erhofft. Aber du solltest glücklich sein, anstatt zu hadern. Ich habe ihm erzählt, was er wissen sollte. Was ich ihm allerdings verschwiegen habe, ist, dass Walther nichts von alldem weiß. Runa, du musst mit ihm reden. Ich habe dir diesen Gefallen getan, weil ich dir einfach keinen Wunsch abschlagen kann, aber nun musst du deinem Mann die Wahrheit sagen, das ist deine Pflicht als Christenfrau.«
Runa nickte nur. Sie wusste, dass er recht hatte. »Ich danke dir, Godeke. Es stimmt, ich sollte zufrieden sein. Nun kann der Mann in Frieden alt werden, da er weiß, dass es Walther gut ergangen ist. Vielleicht hast du recht, und es ist töricht, sich zu fragen, woher Walther wirklich kommt. Was macht es schon für einen Unterschied …?« Runa fühlte sich besser und schlechter zugleich. Sie wusste, dass es ungebührlich gewesen war, hinter dem Rücken ihres Mannes seine Vergangenheit auszukundschaften, aber Walther selbst schwieg beharrlich, wenn es um seine Familie ging. Von Thiderich wusste sie nur, dass er ihren Gemahl seinerzeit auf der Suche nach ihrem Vater im Friesenland in Sandstedt aufgelesen hatte. Damals hatte sich Thiderich aus der Not heraus als ausgeraubter Pilger auf der Suche nach Obdach ausgegeben. Am nächsten Tage bat ihn der Pfarrer des Ortes, der Walthers Vormund war, überraschenderweise darum, sein Mündel auf Pilgerreise mitzunehmen.
Walther hatte Thiderichs Lüge damals durchschaut, doch der junge Heißsporn wollte nichts mehr, als seinem tristen Leben im Dorf und der wenig versprechenden Zukunft als nächster Dorfpfarrer zu entgehen. Seither war Walther nicht mehr dorthin zurückgekehrt und hatte kaum ein Wort über sein früheres Leben verloren, doch Runa wusste, dass ihn das schlechte Gewissen plagte. Sie war sich sicher, dass sie das Richtige getan hatte. Eines stand jedoch außer Frage: Walther würde toben vor Wut, wenn sie ihm von ihrem eigenmächtigen Handeln berichtete, aber danach – dessen war sich Runa gewiss – würde er froh darüber sein.
Gerade als sie Godeke wortreich dafür danken wollte, dass er ihr diese Bitte erfüllt hatte, öffnete Marga die Tür.
»Bitte entschuldigt«, begann sie knapp und ohne die sonst für Bedienstete übliche höfliche Anrede ihrer Herrschaft gegenüber. Schon lange war diese nicht mehr nötig, denn Marga gehörte mittlerweile zur Familie. »Unten stehen zwei Bauersfrauen vor dem Tor. Sie wünschen mit der Hausherrin zu sprechen. Ich habe gesagt, sie sollen später wiederkommen, aber sie lassen sich einfach nicht abweisen.«
Runa schaute Marga verwundert an, dann aber erwiderte sie: »Ist schon gut. Führe sie ruhig in die Diele. Ich komme gleich runter.«
Godeke erhob sich von der hölzernen Bank und sagte: »Ich wollte sowieso gerade gehen. Komm, ich begleite dich nach unten.«
Wenig später traten die Geschwister gemeinsam in die Diele. Wie erwartet standen dort die beiden Bauersfrauen. Die eine war drall und kräftig. Sie schien die Mutter zu sein. Das Mädchen neben ihr bestand fast nur noch aus Haut und Knochen. Mit gesenktem Haupt und hochgezogenen Schultern stand sie da und wirkte so noch schmächtiger – fast zerbrechlich.
»Was kann ich für euch tun?«, fragte Runa freundlich.
»Bitte
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