Tochter des Ratsherrn
…«
»Vater«, unterbrach Godeke Albert abrupt. »Nicht hier.«
Sein Sohn hatte recht. Dies war natürlich nicht der rechte Ort, um sich über die vernachlässigten Pflichten der Landesfürsten zu unterhalten. Also fragte Albert stattdessen: »Hast du die Angreifer erkannt? Waren es Placker oder einfache Wegelagerer?«
»Zunächst war ich mir nicht sicher, denn sie trugen keine Rüstungen, doch dann fand ich das hier im Schnee, nachdem wir sie in die Flucht geschlagen hatten.« Unauffällig holte Godeke einen zerrissenen, blutigen Stofffetzen aus seinem Ärmel hervor. Die drei Männer brauchten nur einen flüchtigen Blick darauf werfen, um zu erkennen, dass darauf die Hälfte eines Wappens prangte.
»Die Scarpenberghs«, spie Thiderich verächtlich aus. »Du hast Glück gehabt, dass du ihnen entkommen bist.«
Godeke wusste, was Thiderich damit meinte. Das Rittergeschlecht der Scarpenberghs war im ganzen Land bekannt für seine brutalen Überfälle. Kaufmänner, wie er einer war, galten als leichte Beute. Sie wurden nicht im Kampf ausgebildet und hatten in der Regel keine Möglichkeit, den tödlichen Klingen der geübten Kämpfer zu entkommen. Doch Godeke bildete hier eine Ausnahme. Schon als junger Bursche hatte er sich ein Holzschwert von seinem Vater schnitzen lassen, mit dem er tagtäglich die Bäume im Wald bekämpft hatte. Es dauerte nicht lange, da war er schneller und geschickter mit dem Schwert als jeder andere seines Alters. Nun, da er ein Mann war, führte er jegliche Hieb- und Stichwaffe mit Leichtigkeit.
Mit einem verächtlichen Kopfnicken in Richtung der Grafentafel fügte Thiderich leise hinzu: »Es ist zum Verrücktwerden. Die Edlen halten uns doch nur zum Narren. Während an ihrem Tisch die eine Hälfte der Scarpenberghs speist, überfällt die andere Hälfte unbescholtene Bürger der Stadt.«
»Pah, wenn es nur die Scarpenberghs wären, dann könnten wir uns ja glücklich schätzen«, ergänzte Albert verächtlich. »Die anderen Ritter an der Grafentafel sind auch nicht viel besser. Welcher von ihnen lebt schon nach den ritterlichen Tugenden? Schaut euch doch um: Lüder von Bockwolde, Heinrich von Borstel, Ulrich von Hummersbüttel. Keinem von ihnen traue ich über den Weg. Und mit Sicherheit fließen auch beachtliche Teile ihrer Beute in die fürstlichen Truhen.«
Godeke nickte zustimmend und fügte mit ebenso leisen, aber nicht weniger wütenden Worten hinzu: »Und die Gefolgsleute der Grafen sind bei Weitem nicht die Einzigen, die sich mit Morden und Überfällen ihren Wein verdienen. Was ist mit Johannes Balk, mit Hermann Ribe, Reynber von Karlow oder den Rittern von Hude? Auch gegen sie müssten die Stadtherren endlich etwas unternehmen, selbst wenn sie nicht von ihnen belehnt wurden.«
Wie von selbst drehten sich die Köpfe der Männer in Richtung der lärmenden Ritterschaft. Die machthungrigen Schauenburger saßen in der Tat in passender Gesellschaft. Schon seit einigen Jahren waren die Überfälle auf Hamburger und Lübecker Bürger ein großes Problem, mit deren Lösung sich die Grafen ganz offensichtlich schwertaten.
Gerade als Walther noch etwas hinzufügen wollte, kam auf ein kaum merkliches Zeichen Graf Johanns II. eine Gruppe von kleinwüchsigen Hofnarren und Spielleuten in den Saal. Sofort vergaß Walther seine Worte und schaute wie gebannt auf die Szenerie. Sosehr er das Treiben der Schauenburger auch verachtete – er und Graf Johann II. hatten dennoch etwas gemeinsam: Sie beide liebten das Minnespiel und die Musik.
Die Gruppe bestand aus sechs Männern. Zwei davon waren bunt gekleidete Winzlinge mit Keulen, in die Gesichter geschnitzt waren. Sofort begannen sie, wilde Grimassen zu schneiden und anzügliche Witze über einzelne Anwesende zu machen. Sie genossen die Narrenfreiheit, die es ihnen erlaubte, derbe Späße zu machen, ohne dabei allzu ernst genommen zu werden. Die vier übrigen Männer trugen Instrumente bei sich: eine Laute, eine Trommel, eine Drehleier und eine Flöte. Nachdem sie sich so platziert hatten, dass jeder im Saal sie sehen konnte, begannen sie zu spielen, ein schnelles Lied mit einem fröhlichen Klang. Die Männer verstanden ihr Handwerk wohl, und so dauerte es nicht lange, bis die Ritter und Kaufleute in heitere Stimmung verfielen. Viele der Gäste waren mittlerweile besoffen und begannen, sich lauthals zuzuprosten oder grölend zu lachen.
Walther schien der Einzige zu sein, der wie gebannt den Klängen lauschte. Der andauernde Ton der Drehleier
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